: Krieg statt Diskussion
■ Verleumdungen und Haßparolen in den Netz-Foren des ehemaligen Jugoslawien
„Who the fuck he thinks he is, that Gersuny character“, schreibt einer, dessen Namen man kennen sollte, ein netter Kerl eigentlich, einer der bekanntesten Journalisten im alternativen Spektrum Ex-Jugoslawiens. „I'd love to see him writing against NSDAP in a Berlin newspaper in 1938“, schreibt der gleiche Freak weiter und verbreitet seine Tiraden auf allen ihm zur Verfügung stehenden News-Foren, die sich mit Krieg und Frieden auf dem Balkan beschäftigten.
Ich hatte keine Gelegenheit, 1938 in Berlin gegen die Nazis anzuschreiben. Die Verleumdung ist perfide, was aber sollen diese ersten Zeilen dieses Artikels, wird der Leser jetzt fragen, so eine persönliche Abrechnung, eine für Außenstehende nicht nachvollziehbare Beschimpfung? Was soll das?
Ich versuche – ebenfalls persönlich – zu antworten: Ein bloß privater Streit ist es nicht. Wer in diesen Kriegstagen im Netz und in den Balkan-Foren über Nato-Bomben, Serben-Haß und Albaner-Vertreibungen diskutieren möchte, der sieht sich nach wenigen Beiträgen in eine ähnliche Lage versetzt.
Es ist zum Weinen, wie der verbale Krieg das Internet erobert hat. Bosnier diskutieren als Bosnier, Kroaten als Kroaten, Albaner als Albaner, Makedonier als Makedonier und Serben, Rumänen als Serben und Makedonier, Ungarn als Kroaten und Ungarn, Russen und Serben gegen den Rest der Welt. Ob die Netze „Mak-News“ heißen oder „Vreme-Net“ oder „Za-Mir“ oder „Bosnet“ oder „Albania-Com“, alle sind sie vollgepackt mit Kriegsmüll, ob nun gegen die Nato oder für die Nato, das tut nichts mehr zur Sache. Denn eines ist immer gleich: Entweder ist das Forum pro oder anti, Vermischungen gibt es nicht mehr. Wer mehr sucht als die Parolen, die ohnehin überall zu lesen und zu hören sind, der wird verflucht und beschimpft. Und das gilt eben unter anderem auch für die einst kritische Zeitung Vreme samt den Newsgroups und Internet-Foren, die sich um Vreme („Die Zeit“) gebildet haben. Sie nennen sich nun „Ratni-Vreme“ („Kriegszeit“) und schreiben wie Krieger.
Nun ist uns im Netz das Recht auf freie Meinungungsäußerung bekanntlich heilig, und seine Grenzen sind aus guten Gründen weiter gesteckt als im Bürgerlichen Gesetzbuch. Verbalinjurien sind erlaubt, sie sind im Usenet sogar Tradition und mußten bisher mit Augenzwinkern hingenommen werden – wer die Spielregeln des Netzes verletzt, wird geflamt. Der Krieg jedoch hat alles verändert. Es ist kein Spiel mehr. Und mehr als sonst wäre es jetzt nötig, nicht nur Standpunkte möglichst militant zu verteidigen, sondern auch einmal in Frage zu stellen. Anders ist eine Diskussion nicht möglich.
Und weil ich es nicht wahrhaben wollte, daß die Anti-Kriegs-Freaks von einst ihre Gesinnung abstreiften wie andere Surfer-Freaks ihr Hemd, habe ich mit den Gewandelten versucht, ins Chatten zu kommen. Ein hoffnungsloses Unterfangen: Die Kritisierten wollen keine Kritik hören und behaupten, da in Serbien ein Faschist namens Milošević regiere, der jedoch seit der Kriegserklärung der Nato an Serbien von all seinen Landsleuten plötzlich innig geliebt werde, könne man sich auch als Freak der neuen Anti-Westen-Hysterie nicht entgegenstellen.
Selbst das mag man ernsthaft diskutieren, warum nicht? Doch wer wirklich nachfragt, weshalb sich (fast) alle Internet-Freaks in Serbien dieser Hysterie anschließen, anstatt einfach zu schweigen, der wird schon wieder verdammt mit Worten. Dafür finden es die gleichen Autoren von Mail-Beiträgen schick, Auszüge aus einem Interview mit dem Schriftsteller Aleksandar Tisma, dem größten serbischen Erzähler dieses Jahrzehnts, zu verbreiten, das dieser vorige Woche dem Spiegel gab. Darin heißt es, „der [serbische; d.R.] Staat, das sind doch wir, und wenn er fällt, fallen wir mit und werden versklavt wie einst unter den Türken“. So einfach ist das inzwischen – nachzulesen auf serbischen Webseiten.
Beifall von der jeweils anderen Seite ist – wie sollte es bei diesem Kriegsspiel anders sein? – so unvermeidlich und dumm wie immer. „Serben an die Wand!“ und ähnliches wie eben auch das Umgekehrte, „Albaner, verreckt!“, findet sich wie Pornozeugs mittlerweile auf jeder noch so kleinen Suchmaschine. Das Balkan-Netz, wie das Internet insgesamt, ist längst ein Sammelsurium eines großen Nebeneinanders geworden. Interessengebiete, aber auch die jeweils eigenen Vorurteile sind technisch wie thematisch säuberlich getrennt durch die Bookmarks im Browser. Daß ein Link auf einer der jeweiligen Leiblingsseiten die Grenzen der persönlichen Borniertheit überwindet, ist ein seltener Zufall. Sogenannte Webringe haben Konjunktur, sie sorgen dafür, daß beim Surfen niemand mehr hinzulernen muß. Von einer globalen, freien Netzöffentlichkeit, der Hoffnung, die manche einmal mit dieser Technik verbanden, ist kaum noch etwas zu sehen.
Doch was sagen die Provider dazu? Etwa die holländische XS4all-Gruppe? Haben die Balkan-Pioniere etwa des Za-Mir- Anti-Kriegs-Netzes nicht Angst, sie könnten im Dickicht von Haß und Propaganda ihren guten Ruf verlieren? „Was soll ich machen“, mailte mir einer dieser Pioniere, der seinen Namen plötzlich nicht mehr nennen möchte, „wir sind keine Zensurbehörde, es ist besser, es wird ausgespuckt, was eh in den Köpfen herumgeistert.“ Karl Gersuny
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen