■ Balkan: Frieden bedeutet, einen Kompromiß mit Rußland zu finden: Bombardierungen ohne Plan
Seit fast drei Wochen bombardiert die Nato nun in Restjugoslawien. Schon lange ist klar, daß die Bosnien-Erfahrung von 1995 – das Einlenken Miloševićs nach Luftangriffen – in Jugoslawien zu falschen Erwartungen geführt hat. Trotzdem wird weitergebombt, weil den politisch Verantwortlichen nichts anderes einfällt. Das hat aber Gründe: Mittel definieren sich über den Zweck, zu dem man sie einsetzt. Was also ist das Kriegsziel der Nato in Jugoslawien?
Die meisten Kosovo-Albaner sind inzwischen vertrieben, die serbische Armee attackiert bereits Dörfer in Albanien, und die Nato weiß offenbar immer noch nicht, was sie letztlich erreichen will. Die Kosovo-Albaner setzen längst darauf, daß der Nato nichts anderes übrig bleibt, als gemeinsam mit den Resten der UÇK ein unabhängiges Kosovo zu erkämpfen.
Will der Westen das, kann er das überhaupt wollen? Im Kaukasus, wo mit Berg-Karabach ein ähnliches Problem existiert, hat man den dortigen Armeniern aus gutem Grund die Unabhängigkeit und den daraus unweigerlich folgenden Anschluß an das Mutterland verweigert. Auf dem Balkan würde ein unabhängiges Kosovo analog zwangsläufig die Frage nach dem Anschluß an Albanien aufwerfen, mit politischen Implikationen, die niemand im Westen ernsthaft wollen kann. Jeder weiß, daß damit die Büchse der Pandora geöffnet würde.
Was passiert mit der albanischen Minderheit in Makedonien, was mit der griechischen Minderheit in Albanien, was mit der türkischen Minderheit in Makedonien, Bulgarien und Griechenland? Jeden Tag kann aus dem Krieg ein Flächenbrand in ganz Südosteuropa werden. Bevor nun über den Einsatz von Bodentruppen entschieden wird, muß klar sein, wie die politische Ordnung in diesem Teil der Welt nach dem Krieg aussehen soll. Das wird schon deshalb ein Kompromiß sein müssen, weil es längst nicht mehr um den Schlächter Milošević allein geht.
Die Luftangriffe haben die Serben zusammengeschweißt, eine Friedensregelung muß deshalb so aussehen, daß auch die Mehrheit der Serben das Gefühl hat, damit leben zu können. Selbst wenn die Nato bis Belgrad marschiert, sollte man wissen, was man letztlich erreichen will. Weil die USA das schon im Irak nicht wußten, haben sie im Golfkrieg den Marsch auf Bagdad gestoppt und Saddam an der Macht gelassen. Frieden auf dem Balkan erfordert einen politischen Kompromiß. Politik bedeutet, den Kompromiß nun gemeinsam mit Rußland zu finden. Jürgen Gottschlich
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