: Wer kontrolliert die JournalistInnen?
Im Berliner Zeitungskrieg liegen selbst bei seriösen Medien die Nerven blank. Wie ein ehemaliger taz-Redakteur als Pressesprecher den Respekt vor seinen ehemaligen BerufskollegInnen verlor, beschreibt ■ Dirk Wildt
Peter Stadtmüller, Sprecher der SPD-Fraktion, soll seine Senatorin vorsichtshalber gewarnt haben: „Annette, der kommt nur, um ein ,Schwarzbuch SPD' zu schreiben.“ Die ironische Spitze soll im November 1997 gefallen sein, als ich von der taz in die Pressestelle der Senatsverwaltung für Finanzen wechselte. Damals überlegte ich vage, ob ich an einem „Schwarzbuch taz“ arbeiten sollte, ahnte aber, daß mein neuer Sprecherjob für solch einen Spaß keine Zeit lassen würde.
Wenn ich heute, anderthalb Jahre später, Zeit für ein Buch fände, ich würde über den Berliner Journalismus schreiben. Es gilt allgemein das Vorurteil, daß man Boulevardzeitungen nicht glauben und Abonnementzeitungen durchaus trauen dürfe. In Berlin ist davon nichts mehr wahr.
Selbst der Tagesspiegel, die alte Westberliner Tante des seriösen Journalismus, macht nicht mehr Halt vor Falschmeldungen. Erst gestern titelte das Blatt: „Senat: 150 Millionen Mark fallen durch ein US-Steuerschlupfloch – Etatlücke 99 wird größer“, und wußte es besser. Der Redakteur hatte sich nämlich zwei Tage zuvor bei der Finanzverwaltung erkundigt und erhielt ein Dementi. Das druckt der Tagesspiegel vermutlich in seiner heutigen Ausgabe.
An der Recherche der Potsdamer Straße kann es nicht liegen, sie ist überdurchschnittlich gut. Ein anderes Beispiel von vor wenigen Wochen: Eine Redakteurin erhält auf ihre Frage die Antwort, der Zoologische Garten (der dem Land Berlin ohnehin nicht gehört) soll nicht verkauft werden. Am Tag darauf heißt es an jeder Kiosk-Werbeschürze: „Stadt will Zoo verkaufen.“
In Berlin herrscht Zeitungskrieg.
Immerhin unterscheiden sich die Ressortleiter diverser Zeitungen bei ihren Rückzugsgefechten. Kurz nach meinem Beginn als Sprecher titelte das Ostberliner Boulevardblatt Kurier, in Berlin würden Steuererklärungen nicht mehr geprüft.
Die Geschichte war korrekt recherchiert, und die Redakteurin hatte ein Manuskript gefertigt, das der Wahrheit zumindest nahe kam – nur nicht zu den fetten schwarzen Buchstaben der Titelseite passen sollte, die vorbereitet waren. Der Chefredakteur, der den Text der falschen Schlagzeile angepaßt hatte, war für die Finanzverwaltung erreichbar, redete erst von Mißverständnissen, entschuldigte sich schließlich.
Bei der SFB-“Abendschau“ meldete vor kurzem ein Kollege, die Finanzverwaltung habe bei einem Grundstücksgeschäft Fehler eingeräumt. Bloß: Die zuvor eingeholte offizielle Auskunft der Finanzverwaltung war das genaue Gegenteil. Die Begründung auf meine Beschwerde: „Hättest du dich vor die Kamera gestellt, wär' das nicht passiert.“ Mit anderen Worten: Wer sich nicht vor die B 1-Kamera pressen läßt, wird zur Strafe falsch zitiert.
Beim Tagesspiegel lief es ganz ähnlich. Die Zoo-Verkaufs-Falschmeldung wurde mit den Worten begründet, die Verwaltung habe „Scheiße“ gebaut. Soll heißen: Findet ein Redakteur Verwaltungshandeln nicht richtig, kann er das Gegenteil dessen schreiben, was stimmt.
Gewinner und Opfer in diesem virtuellen Medienkrieg sind die LeserInnen. Die Verkaufspreise der Zeitungen fallen, die Wahrheit bleibt auf der Strecke.
Als Pressesprecher steht man diesem Ergebnis teilweise recht hilflos gegenüber. Denn selbst wenn sich Chefredakteure entschuldigen, erfährt die LeserIn noch nicht die Wahrheit.
Anfangs war ich gegenüber „Fehlern“ meiner ehemaligen BerufskollegInnen ja auch noch gutwillig. Über die Monate verlor ich allerdings auch deshalb die Geduld, weil sich etwa beim Kurier (Verlag Gruner & Jahr) die „Mißverständnisse“ häuften.
Selbstverständlich hat eine Verwaltung die Möglichkeit, rechtlich gegen Falschmeldungen vorzugehen. Der Erfolg kann aber lange auf sich warten lassen.
Auch deshalb ist es eine gute Idee gewesen, eine Ehemaligen-taz zu machen. Denn gewöhnlich steht einem Pressesprecher keine Tageszeitung zur Verfügung, in der er über den Untergrund des Journalismus berichten kann.
Und keine Angst, liebe Ex-KollegInnen Berliner Zeitungen. Noch arbeite ich nicht an einem „Schwarzbuch Journalismus“. Die Zahl der Geschichten würde nicht genügen.
Aus Fairneß will ich am Ende sagen, daß die Mehrheit der Berliner JounalistInnen sich an die Wahrheit hält.
Dirk Wildt wird vorgestellt auf Seite 21
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