■ Der Pazifismus und die Linke: Keine intakte Wohngemeinschaft: Die 68er und ihr Gewaltmonopol
Die Empörung ist groß: Josef Fischer als oberster Aggressor, Kriegstreiber und Bombenwerfer. „Kein Blut für Joschka“ lautet die Parole der Kriegsgegner. Für die einen steht ohnehin fest, daß Fischer schon seit langem die Seiten gewechselt hat: Wer hat uns verraten? Grüne Demokraten! Die linken Pazifisten finden sich auf der Seite des serbischen Aggressors wieder. Fischers Wandel zum staatsmännischen Agieren lasten Beobachter einem „Gesinnungswechsel“ (Augstein) Fischers an, seiner Lernfähigkeit oder schlicht machtpolitischen Flexibilität. Gleichwohl fällt auf, daß eine ganze Generation, die 68er, sich auffällig positiv zu den Bomben auf Belgrad, zum Krieg im Kosovo äußert. Das ist – schon seit dem ersten Golfkrieg (und nach der Wende 1989 hat es sich angedeutet) – ein Bruch in der Geschichte der Bundesrepublik. Eine ganze Generation hat ihre innerstaatliche Feinderklärung zurückgenommen, ist angekommen in der Bundesrepublik, empfindet so etwas wie Verantwortung über den engen Rahmen Deutschlands hinaus und verläßt den deutschen Sonderweg. Im Namen des Friedens. Kann mir einer sagen, was es nützt, wenn diese Regierung stürzt?
Es gibt einen ehrbaren, absolut glaubwürdigen Pazifismus, der vor allem in religiösen Gründen seinen Ursprung hat. Es gibt aber auch jenen taktischen Pazifismus, der sich, je nachdem, welche Seite man gerade liebt, prinzipienlos solidarisch gibt. Vor allem die Linke kann davon ein Lied singen. Gewaltbereitschaft begleitet ihre Geschichte – und vielleicht liegt darin der Schlüssel, daß es heute an einer ernstzunehmenden außerparlamentarischen Opposition gegen den Krieg und gegen Milosevic mangelt.
Diese Geschichte fängt nicht erst mit den Bomben an, die Andreas Baader ins Bewußtsein der Massen werfen wollte. „Der Sieg des Volkes kommt aus den Gewehrläufen“, „Sieg im Volkskrieg“, „Die besten Pazifisten sind das bewaffnete Volk“ hießen die Parolen. Waffen für den Vietcong, der unvergessene taz-Aufruf für El Salvador: Im gerechten Krieg, auch gegen den eigenen Klassenfeind (“Macht aus Buback Zwieback“), kannte die Linke kein Pardon und keinen Pazifismus. Und gehören nicht auch die Übungen der Frankfurter Putztruppe, zu der Fischer sich zählte, zum biographischen Bestand: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Erst mit der Verstaatlichung der Befreiungsbewegungen, mit ihrer Machtergreifung, ging es der deutschen Linken auf, daß sich die hehren Ziele der Revolution, ob in Vietnam oder Kambodscha, meistens in blutiger Unterdrückung auflösten. Schweigen war oft die Folge, selten Scham. Es dauerte lange, bis der blinde Fleck aufgearbeitet wurde.
Immerhin gab es schon in den späten 70er Jahren Debatten darüber, ob die Linke mit ihren militanten Gewaltphantasien Verantwortung für die Folgen ihrer Politik in anderen Ländern mit zu übernehmen hätte. Fischer 1979: „Biafra hat niemanden interessiert, obwohl das Grauenvolle, das dort geschah, durchaus mit Vietnam vergleichbar war.“
Immer ging es auch um den moralischen Impuls, und ich vermute, daß spätestens hier die Wurzeln für Fischers Engagement liegen. Es ist kein Austausch der Positionen, wie die taz vermutet. Es geht doch offenbar um Kontinuität im Kontext bewaffneter Politik. Heute haben wir den Vorteil, daß sie allerdings kontrollierbar ist, anders als Kleingruppenguerilla und Freizeitterrorismus, und zum staatlichen Gewaltmonopol gehört. Man muß nicht von Auschwitz reden, um Milosevic zu stoppen – wir müssen uns wohl daran gewöhnen, daß Krieg ein Mittel der Politik ist, wenn auch das letzte. Aber immerhin hat der Krieg den Nationalsozialismus beendet. Die Linke, die Grünen und die Gewalt, niemand sollte geschichtsvergessen sein, wenn er auf Fischer den ersten Stein wirft. Benedikt Maria Mülder
Benedikt Maria Mülder war von 1979 bis 1988 bei der taz. Heute arbeitet er als Fernsehjournalist in Berlin.
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