piwik no script img

Mit Lohnfortzahlung werden Arbeit- nehmer wieder häufiger krank

■ Der Krankenstand in den Betrieben ist wieder angestiegen. DGB: Unter Druck hatten viele trotz Krankheit gearbeitet

Berlin (AFP/taz) – Der Krankenstand in den deutschen Betrieben ist wieder angestiegen, seitdem die neue Bundesregierung die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder eingeführt hat. Sie war unter der RegierungKohl abgeschafft worden.

Die krankheitsbedingten Fehlzeiten sind nach einer Statistik des Bundesgesundheitsministeriums im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent auf 4,4 Prozent der Sollarbeitszeit gestiegen. Im Osten liegt der Krankenstand mit 4,65 Prozent etwas höher als im Westen (4,35 Prozent). Das hat das Bundesgesundheitsminsterium gestern mitgeteilt.

Damit ist eines der zentralen Wahlversprechen der Bundesregierung wieder in die politische Diskussion zurückgekehrt. Der Präsident der Arbeitgeberverbände, Dieter Hundt, sprach gegenüber der Tageszeitung Die Welt von einem „Alarmsignal“. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sei die teuerste betriebliche Sozialleistung. Durch die höheren Kosten in diesem Bereich würden die seit dem ersten April geltenden Entlastungen durch die Absenkung der Rentvenversicherungsbeiträge teilweise wieder aufgehoben. Das Ziel der Regierung, die Personalkosten zu senken, werde auf diese Weise verfehlt.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer konterte dagegen am Freitag, die Aufregung der Arbeitgeber sei „völlig unbegründet“. In den letzten Jahren sei der Krankenstand unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit um rund 20 Prozent gesunken. 1998 sei der Tiefstand erreicht worden. Die Bemühungen, den Krankenstand zu senken, seien in den letzten Jahren übertrieben worden. Kranke Arbeitnehmer seien allzuhäufig unter unzulässigen Druck gesetzt worden. Die Folge sei häufig ein verschlechterter Gesundheitszustand gewesen. Engelen-Kefer wertete die Zahlen aus dem Gesundheitsministerium als „Normalisierung“. Mit kranken Arbeitnehmern werde nun wieder „human“ umgegangen.

Unterdessen gingen im Bankenbereich die Proteste gegen die von den Arbeitgebern geplante Wiedereinführung der Samstagsarbeit weiter. Am Freitag sollten nach einer Ankündigung der DAG und der HBV rund 10.000 Beschäftigte ihren Protest auf die Straße tragen. Auch in Hamburg haben Bankangestellte demonstriert. Die Tarifverhandlungen für die 470.000 Beschäftigten des Bankgewerbes waren am 29. März in der vierten Runde gescheitert, weil die Arbeitgeber den Samstag wieder zu einem normalen Arrbeitstag machen wollen. Die Gewerkschaften sprechen von einer „massiven Verschlechterung der bestehenden Tarifverträge“ und fordern dagegen eine enge Begrenzung der Samstagsarbeit.

Die Tarifauseinandersetzung im Baugewerbe hat sich indessen verschärft. Die Gewerkschaft hatte ursprünglich darauf verzichtet, eine bezifferte Forderung zu stellen. Jetzt befürchtet sie, daß die Arbeitgeber die neue Flexibilität in der Verhandlungsführung einseitig für sich ausnutzen wollen. Der Bundesvorsitzende der IG Bau Agrar Umwelt, Klaus Wiesehügel, warnte die Arbeitgeber davor, dem Bogen zu überspannen. Die Gewerkschaft hat sich auf einen „flächendeckenden“ Streik vorbereitet, falls die Arbeitgeber nicht von ihrer Forderung nach Absenkung des Weihnachtsgelds abrücken.

Bei den Tarifverhandlungen für den Volkswagen-Konzern wurde gestern noch kein Ergebnis erzielt. Die IG Metall fordert 3,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt, eine Übernahme der gut 5.000 befristet Beschäftigten sowie eine Anhebung des jährlichen Erfolgsbonusses auf deutlich über 1.000 Mark. VW will vor allem die Samstagsarbeit ohne Lohnzuschläge durchsetzen. Außerdem liegen die Verlängerung der Viertagewoche und die Altersteilzeit auf dem Verhandlungstisch. Martin Kempe

55, bei der taz von 79 bis 91, heute freier Journalist und Buchautor

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen