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Prima Paradoxon

Macht dem Namen keine Ehre, hat aber trotzdem ein oder zwei Highlights zu bieten: Heute eröffnet das 23. Jazzfestival in der Fabrik  ■ Von Christian Buß

Für den Jazz wird die Luft knapp in Hamburg. Bei der alljährlichen Leistungsschau in der Fabrik, die dem Genre schon mit dem Namen huldigt, wurde dem Jazz jedenfalls nur der Samstag eingeräumt. Dafür müssen sich da die Bühne gleich vier Ensembles teilen, noch dazu hochkarätige: Kyle Eastwood wird den Credits, die er durch seinen Namen erhält, durchaus gerecht. Der Beau am Baß mit dem Kinn von Papi Clint dekliniert cool den modernen Jazz durch – wenig aufregend zwar, aber enorm elegant. Ebenfalls ein junger Könner ist der Blue-Note-Pianist Jacky Terrasson, der im monströsen rhythmischen Malstrom wahrlich Sternschnuppen aus den Tasten schlägt. Ein Grund, Samstag bis spät in die Nacht in der Barnerstraße zu verweilen. Zumal zuvor zwei echte Institutionen auftreten: Tomasz Stanko hat einst den Free-Jazz nach Polen geholt sowie die Soundtracks zu den besten Filmen Roman Polanskis geliefert, und mit der in Hamburg debütierenden Abbey Lincoln tritt die letzte große Dame des Jazz-Gesangs auf.

In den Geschichtsbüchern wird die 68jährige, die im Gegensatz zu den meisten ihrer Kolleginnen nicht dem Suff oder dem Wahn oder beidem zusammen anheim anheimgefallen ist, oft als Randfigur behandelt. Zu Unrecht. Immerhin war sie es, die früh mit ihrem Gatten Max Roach afrozentrische Inhalte im Jazz verhandelte und sich konsequenterweise später stark in der Bürgerrechtsbewegung engagierte. In den Sechzigern arbeitete sie für den Film, später schaute sie für einige Cameo-Autritte bei Spike Lee auf dem Set vorbei. Seit Anfang der Neunziger veröffentlicht Abbey Lincoln bei Verve Alben in Reihe – weise, nicht altersweise.

Das war es auch schon mit dem Jazz auf dem Jazzfestival. Für die anderen Abende konnten immerhin einige zugkräftige Namen gewonnen werden. Für den Freitag John Cale. Und auch wenn der Avantgarde-Koloß in seiner beinahe vierzigjährigen Karriere so ziemlich mit jedem Genre außer dem Jazz geliebäugelt hat, paßt er vielleicht ganz gut auf so eine Veranstaltung. Schließlich bleibt der Mann, der moderne Klassik ebenso wie Fender-Feedback in sein Idiom eingemeidet hat, in Bewegung und ist im Gegensatz zu Weggefährten niemals verklärend. Wer einmal mit ihm gesprochen hat, weiß: Cale ist immer noch für die eine oder andere Selbstzerfleischung gut. Daß seine Auftritte trotzdem schöne Schauer der Erinnerung auslösen, an die Mutter in Wales oder die unerwiederte Liebe zur Chanteuse Nico, ist dabei ein prima Paradoxon. In der Fabrik wird sein Solo-Auftritt von den Syntheziser-Tüftlern Klaus Schulze und Pete Namlock flankiert, die ihrerseits im elektronischen Bereich innovativ gewirkt haben. Die Frage allerdings, was der Didgeridoo-Romantiker Charlie McMahon im Programm zu suchen hat, ist ungelöst.

Doch seien wir milde, denn ansonsten sind die Bündelungen geschickt vorgenommen. Eröffnet wird das Happening, das mehr denn je unter den Vorzeichen von Folklore und deren Mutation steht, mit einem doppelten Drumwirbel: Neben den alle Jahre wieder in der Stadt gastierenden Les Tambours Du Bronx ist der Djembé-Virtuose Mamady Keita angekündigt. Lob verdient, daß vor dem Ethno-Pop-Selbstgänger Salif Keita die ebenfalls aus Mali stammende Rokia Traoré auftritt. Deren Stimme, das ist nicht übertrieben, baut eine Treppe in den Himmel. Und der Flamenco-Gitarrist Tomatitio tritt mit Uwe Kropinski auf, der das Instrument in weniger emotionale Richtung manipuliert. Apropos: Zum Abschluß wird dann richtig an den Saiten gezerrt. Der Geigen-Rabauke Nigel Kennedy, von dem niemand so recht weiß, was er in der Barnerstraße soll, wird sein „Hendrix Concerto in Suite-Form“ uraufführen.

Das Programm:

Heute, 21 Uhr: Mamady Keita & Sewa Kan + Les Tembours Du Bronx. Morgen , 21 Uhr: Rokia Traoré & Band + Salif Keita & Band. Donnerstag , 21 Uhr: Uwe Kropinski + Tamatito Ensemble. Freitag , 21 Uhr: John Cale (solo) + Klaus Schulze/Pete Namlock + Charlie McMahon & Gondwana. Sonnabend , pünktlich 20 Uhr (!): Kyle Eastwood Quintet + Tomasz Stanko Quartet + Abbey Lincoln & Band + Jacky Terrasson Trio. Sonntag , 21 Uhr: String Thing + Nigel Kennedy plays „Hendrix Concerto in Suite-Form“. Weitere Infos unter % 39 10 70. Für alle Veranstaltungen sind noch Karten erhältlich.

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