Goethe-HipHop-Massaker

■ Die Campingbühne Berlin mit einer arg merkwürdigen Version von Goethes „Die Mitschuldigen“ im Theater Zerbrochene Fenster

Katerfrühstück auf neudeutschen Campingplätzen: Am Wohnwagen pappt noch das DDR-Märkchen, die Gartenmöbel sind aus stapelbarer Plaste. Links vom Grill hockt eine junge Frau im Negligé und vertilgt kettenrauchend Toastbrot mit Sprühsahne; ihr spillriger Gatte fönt sich nach einleitendem Büchsenbier grußlos das verschrumpelte Würstchen vom Vortag warm. Soweit der stumme Proll-Prolog auf der Bühne. Es folgt: Goethe.

Einen „merkwürdigen Beitrag zum Goethejahr“ will die neugegründete Campingbühne liefern, wie der Pressetext in unfreiwilliger Komik annonciert. Merkwürdig ist Regisseur Stephan Samuels Version des Lustspiels „Die Mitschuldigen“ allerdings – und zwar merkwürdig blaß. Nun haut schon die Lektüre dieser konventionalisierten Typenkomödie, die Goethe im zarten Alter von zwanzig Jahren zu Papier brachte, allenfalls Germanisten aus den Socken. Pointenlos löst sich ein mäßig verwickelter Plot um Geld und Liebe auf; ermüdend lesen sich heute die endgereimten Alexandriner.

Gibt die Handlung schon nichts her, so liegt es auf der Hand, die typisierten, wie ferngesteuert erscheinenden Figuren in die Gegenwart zu verpflanzen. Irgendwo im finstren Brandenburg (Datschenbühne: Kathrin Samuel) will „Vadder“ Wirt (nuschelig: Burkhard Hiller) mit West-Schwiegersohn Söllers Hilfe (Michael Wenzlaff) seine Gartenkaschemme in ein florierendes Ausflugslokal verwandeln. Doch der Gatte der tranigen Tochter Sophie (Birgit Wölke) ist ein Hallodri, der die dürren Lokal-Einkünfte verspielt und versäuft. Nun logiert der reiche Alcest (Stephan Samuel), einstiger und wiederentflammter Verehrer Sophiens, im Wohnwagen. Erst im Goethekostüm, dann im HipHop-Outfit, überredet er die frustrierte Sophie zum nächtlichen Rendezvous.

Allein sie sind nicht allein: Söller, der just den Alcest beklaut hat, belauscht erst den Vater, der sich für die Privatpost des Gastes interessiert, dann das heimliche Stelldichein. Am nächsten Morgen, als der Diebstahl entdeckt wird, kommt es erwartungsgemäß zu Verwicklungen, gegenseitigen Beschuldigungen und ähnlicher Unbill, die in einen unmotivierten und blöd überzogenen Showdown mündet. Unvermittelt gebärden sich Sophie und Söller als the real „Natural Born Killers“ und massakrieren den HipHop-Goethe, während „Vadder“ schon wieder den Grill anheizt. Vorhang.

Stephan Samuel, Mitbegründer des Berliner Männerensembles, hat offensichtlich an die Soap-opera als Typenkomödie der Neunziger gedacht, vielleicht auch an eine leicht angetrashte Sozialkritik – und an eine maliziöse Goethe-Interpretation sowieso, denn wenn Alcest am Ende textabweichend krepieren muß, wird irgendwie auch noch mal der tote Goethe gemeuchelt.

Doch für die Seifenoper mangelt es den „Mitschuldigen“ an Professionalität und Tempo, zum Trash fehlt der Mut, konsequent zu überziehen, und die Ost-West-Thematik wird bloß in der Ausstattung behauptet. Bleibt das frivole Verbrechen an Goethe.

Eva Behrendt

Bis 17. Mai, Donnerstag bis Montag, 20.30 Uhr, im Theater Zerbochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg