: Iren sind menschlich
■ Wenn man mag, worüber man spottet: „Wahrheit“-Kolumnist und taz-Irland-Korrespondent Ralf Sotschek liest aus „Irish Toffee“
Wer in der Hamburger Staatsbibliothek mal die taz-Ausgaben der 90er durchblättert, macht eine seltsame Entdeckung: Sämtliche Montagsausgaben sind völlig zerfleddert und immer fehlt die Kolumne von der Wahrheit-Seite. Nun ja, wer die taz nicht erst seit gestern liest, weiß: montags ist Sotschek Kolumnist, Ralf Sotschek, seit 1985 taz-Irlandkorrespondent. Mit jedem Jahr, das er dort verbringt, mit jedem Haar, das er dort verliert, nimmt er, so scheint's, immer mehr die Schrullen seiner Inselnachbarn an. Davon zu überzeugen, hat die Edition Nautilus jetzt einen Band mit gesammelten Sotschek-Kolumnen vorgelegt. Der Titel Irish Toffee hält, was er verspricht: süße Alltagsgeschichtchen von der Länge eines Pralinéverzehrs.
Im Wirtshaus zur Hölle hat der Dubliner Kneipenbesitzer Stephan eine Marktlücke entdeckt: Seine Stammgäste raunt er herrisch an, daß sie sich verpissen sollen und ein knutschendes Pärchen schmeißt er vor die Tür, weil sie angeblich die Kinder verderben. Unhöflichkeit als irischer Markenartikel. Der Katzenmörder im Arztkittel ist die Insel-Variante für lebensgefährliche Tierliebe. Und daß der Linksverkehr die geringste Umstellung mit sich bringt, wenn man seinen kontinentaleuropäischen Wagen ganz offiziell nach Irland einführen möchte, macht die Geschichte Irische Versicherungen sind wählerisch deutlich.
Ralf Sotschecks Irish Toffee beweist einmal mehr die alte These: Man lebt nicht im Ausland, um seine Vorurteile abzubauen, sondern um sie besser zu begründen. Klar: Jeder zweite Ire hat rote Haare und Sommersprossen, und das Inselalltagsleben pendelt beharrlich zwischen Guinness und Glaube. Aber bei allen bestätigten Vorurteilen: Sotschek mag, worüber er spottet. Darin ist er selbst schon ein bißchen irisch geworden. Sein Sinn für Kuriositäten ist unerschöpflich, und einige Geschichten streifen schon mal die Grenze zur Unwahrscheinlichkeit. So ähnlich wie die vom Sotschek-Fetischisten aus der Hambrger Staatsbibliothek.
Joachim Dicks
Ralf Sotschek: „Irish Toffee“, Edition Nautilus, Hamburg 1999, 140 S., 24,80 Mark
Lesung: heute, 20 Uhr, Buchhandel im Schanzenviertel, Schulterblatt 55
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen