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„Über Kreuz“ und andere Brüche

■ Das Bremer Theater hält in einem großen Familienfest Rückschau auf 30 Jahre Tanztheater in der Hansestadt

Als er nach Bremen kam, war er erst 29 Jahre alt und hatte erst ein Stück choreographiert. Doch dieser junge, vom damaligen Theaterintendanten Kurt Hübner mit einem bemerkenswerten Mut zum Risiko zum Chef des „Balletts des Theaters der Freien Hansestadt Bremen“ gekürte Tänzer namens Hans Kresnik bescherte diesem Genre einen Wendepunkt: Seit Kresniks erstem Umzug nach Bremen anno 1969 ist das klassische Ballett in der Hansestadt abgeschafft und ist hier Tanztheater zu sehen. Obwohl der Bruch nicht radikal, sondern eher ein langsamer Übergang war, halten die Theaterleute vom Goetheplatz unter dem Titel „30 Jahre Bremer Tanztheater“ jetzt Nabelschau auf diesen Wendepunkt.

„Bremen ist neben Wuppertal das zweite Zentrum, was Tanz an einer städtischen Institution betrifft“, weiß Waltraut Körver, die Sprecherin des amtierenden Choreographen-Tandems Susanne Linke und Urs Dietrich. Doch im Gegensatz zum Tanztheater in Wuppertal, das Pina Bausch seit Jahrzehnten prägt, formten in Bremen seit 1969 mehrere ChoreographInnen in residence vollkommen verschiedene Ästhetiken des Genres. Nach Hans Kresnik (von 1969 bis 1979 und dann noch einmal von 1989 bis 1995) kamen Gerhard Bohner (1979 bis 1983), Reinhild Hoffmann (1979 bis 1986) sowie Rotraut de Neve und Heidrun Vielhauer (1986 bis 1989), bis nach Hans Kresniks zweiter Ära Susanne Linke und Urs Dietrich (seit 1995) wieder zeigen, daß Tanztheater nicht offenkundig Polittheater sein muß.

Als Tanzfest und nicht als Festival beschreibt die Organisatorin Waltraut Körver den Rückblick auf die letzten 30 Jahre. Und liest man die Teilnehmerlisten für den Veranstaltungsreigen vom 2. bis zum 9. Mai im Theater am Goetheplatz, Schauspielhaus, Institut Français und anderen Veranstaltungsorten, wird das Tanzfest das Zeug zu einer riesigen Familienfeier haben. Denn fast alle ChoreographInnen mit Bremer Schaffenszeit sowie ungezählte agierende und Ex-TänzerInnen haben ihr Kommen zu den Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Tanz(ur)aufführungen zugesagt.

Eine Ausstellung mit Fotos aus 30 Jahren Tanztheater sowie ein Vortrag des unvermeidlichen Tanzkenners Jochen Schmidt über die aktuelle Situation des Tanztheaters eröffnet das Fest am 2. Mai (11.30 Uhr, Rangfoyer des Theaters am Goetheplatz). Am Abend tanzen Reinhild Hoffmann und Susanne Linke ihre jüngst in Italien uraufgeführte Choreographie „Über Kreuz“ (20 Uhr, Schauspielhaus). Als Uraufführung steht das neue Stück „P(elleas) und M(elisande)“ von Urs Dietrich auf dem Programm (6. Mai, 20 Uhr, Concordia). Acht Tänzer und acht Musiker der Gruppe „Lauter Blech“ wirken an dieser Choreographie mit, deren Atmosphäre Waltraut Körver mit Edward Hoppers bekanntestem Bild „Nighthawks“ vergleicht. Wenige Tage später steht der unermüdliche Urs Dietrich schon wieder selbst auf der Bühne und zeigt noch einmal sein Solo „An der Grenze des Tages“ (9. Mai, 20 Uhr, Schauspielhaus).

Neben diesen Aufführungen sind Diskussionen über den Streitwert des Bremer Tanztheaters (9. Mai, 11.30 Uhr, Rangfoyer, Goetheplatz) und die Frauendomäne Tanz (3. Mai, 20 Uhr, Schauspielhaus) angesetzt. Außerdem zeigt die Leiterin des Tanzfilmarchivs an der Bremer Uni, Heide-Marie Härtel, zum Teil unveröffentlichte Videoaufzeichnungen aus 30 Jahren Bremer Tanztheater (7. Mai, 20 Uhr, Schauburg). Hans Kresnik kommentiert den Filmrückblick auf seine Choreographien selbst (5. Mai, 20 Uhr, Schauspielhaus). Und neben diesem Kresnik-Abend dürfte auch die „Tanznacht“ beim Tanzfest bis in die Morgenstunden aus-ufern: EnsembletänzerInnen aus allen Epochen zeigen Ausschnitte aus ihren Arbeiten und feiern anschließend sich selbst, ihr Publikum und vielleicht auch einen Mann aus Kärnten, der 1969 erst 29 war und den Anlaß für den ganzen Veranstaltungsreigen gab (8. Mai, 21 Uhr, Schauspielhaus). ck

Karten können unter Tel.: 36 53 333 vorbestellt werden; alle Termine im Theaterspielplan sowie in einer Broschüre, die unter anderem im Theater ausliegt

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