Filmstarts à la carte
: Die Einsamkeit des Dauermörders

Gefangen im immer gleichen Rollenfach: Sein Erfolg als Kindermörder in „M“ wurde Peter Lorre zum Verhängnis. Im Exil in Hollywood mußte der kleine Mann mit den vorquellenden Augen endlose Variationen abliefern: Mörder, Psychopathen, Exoten. 1951 kehrte Lorre noch einmal nach Deutschland zurück – doch auch seine einzige Regiearbeit Der Verlorene zeigt deutlich den großen Schatten, den Fritz Langs Film einst geworfen hatte. Denn erneut spielt Lorre einen Mörder. Als Arzt in einem Flüchtlingslager holt ihn nach dem zweiten Weltkrieg seine Vergangenheit ein – der Mord und eine unfreiwillige Verstrickung in die Machenschaften der Nazis. Lorre inszeniert eine Alptraumwelt mit Anklängen an den Film noir: Disparate Lichtquellen und die häufige Untersicht lassen die Räume düster und klaustrophobisch wirken. Als Schauspieler erscheint Lorre tatsächlich verloren: melancholisch, resigniert und fremd. Ganz und gar nicht, was das Publikum zu Beginn der Wirtschaftswunderjahre sehen wollte.

Der Verlorene 27.4. im Arsenal

Heute ist sie vor allem eine Camp-Kultfigur der Schwulen. Denn als Sexsymbol mag man jene übergewichtige Mittvierzigerin, die nach Ansicht eines Kritikers „daherschleicht wie ein sehr maskuliner Cowboy“, selbst in ihren besten Filmen aus den dreißiger Jahren nicht mehr ansehen. Doch das war zu Mae Wests Glanzzeiten ganz anders: Als Broadwaystar schrieb sie Mitte der Zwanziger nicht selten ihre eigenen Stücke und brachte in ihren Rollen eine herausfordernde weibliche Sexualität auf die Bühne: „Is that a gun in your pocket, or are you just pleased to see me?“ Eindeutiger konnte man es nicht mehr formulieren. Aber ihre Filmkarriere begann spät (1932) und litt vor allem unter dem seit 1934 rigoros angewendeten Production Code, der Selbstzensur der amerikanischen Filmindustrie. Zu „Belle of the Nineties“ haben sich interessante Memoranden von Joe Breen erhalten, dem Leiter der Zensurbehörde. Das erste Treatment wurde demnach aus den folgenden Gründen abgelehnt: „A) Vulgarität und Obszönität. B) Verherrlichung von Verbrechen und Verbrechern. C) Verherrlichung einer Prostituierten, und D) eine Story, die definitiv auf der Seite des Bösen und Verbrechens ist und gegen das Gute, Anständige und das Gesetz.“ Und so wurden Wests schlüpfrige oppeldeutigkeiten und ihre provozierende Sexualität auf dem Altar einer scheinheiligen Moral geopfert – das Bad Girl wurde gut. Wie in Raoul Walshs Klondike Annie (1936), wo sie als falsche Missionarin in Alaska Seelen rettet. Zu sehen am Freitagabend im Central-Kino.

A Night with Mae West mit Klondike Annie, Sextette u.a. 23.4. im Central 1

Er liebt die Frauen immer ein bißchen zu sehr. Doch als tragikomischer Ritter von der traurigen Gestalt im Kampf mit den Unbilden der Liebe genießt er alle Sympathien. Jean- Pierre Leaud war vierzehn Jahre alt, als Francois Truffaut ihn 1959 für die Rolle des Antoine Doinel auswählte. Als alter ego des Regisseurs durchlebt er in „Sie küßten und sie schlugen ihn“ eine unglückliche Kindheit und wird zum frühreifen Kleinkriminellen. In vier weiteren Filmen (der letzte, „Liebe auf der Flucht“, entstand 1978) wuchs Doinel eben zu jenem liebenswerten Schlawiner heran, mit dem man Leaud seither identifiziert. Entsprechend leichter und unbeschwerter wurde die Tonart der Filme. Am Wochenende bietet sich im Checkpoint die seltene Gelegenheit, die vier abendfüllenden Doinel- Geschichten hintereinander anzusehen.

Sie küßten und sie schlugen ihn, Tisch und Bett, Liebe auf der Flucht 23.4.-25.4., Geraubte Küsse 22.4.-28.4. im Checkpoint

Lars Penning