: Die mit dem Wolf tanzen
■ Die türkischen Grauen Wölfe haben Kreide gefressen. Rassisten wollen die jungen Mitglieder der Organisation nicht mehr sein. Einig sind sie im Kampf gegen die PKK
Istanbul (taz) – Meistens steht er auf einem Hügel und heult den Mond an. Der hat die Form einer Sichel, und in seinem silbrigen Schimmer glänzt die Steppe. Gleich daneben reiten die Hunnen. Mit wallendem Fell auf den Schultern, freier Brust und dem Säbel in der Hand. Der Blick ist in weite Ferne entrückt. „Der Wolf“, sagt Sercan Acar, „ist das Symbol der Freiheit. Wir werden uns niemals unterwerfen.“ Am vergangenen Sonntag erlebte der Graue Wolf bei den Parlamentswahlen in der Türkei seine Wiedergeburt. Das längst in die ferne Vergangenheit entschwunden geglaubte Symbol des männlichen, stolzen, ehrlichen Türkentums kam zurück. 18 Prozent der WählerInnen machten die Partei der Nationalen Bewegung (MHP), die Partei der Grauen Wölfe, zur zweitstärksten politischen Kraft im Land.
„Selbst wir waren völlig überrascht“, gesteht die Runde Grauer Wölfe in ihrem Vereinslokal in Talarpasa, das rundum mit Postern des Wolfes und der reitenden Hunnen geschmückt ist. Sie können immer noch nicht ganz glauben, was passiert ist, sind aber voller Stolz auf ihre Partei und gerne bereit, Auskunft über den Grauen Wolf und die wahren Prinzipien des Türkentums zu geben. Die meisten in der Runde sind um die 20 Jahre alt. Obwohl noch keine genauen Zahlen vorliegen, weiß man doch, daß sie einen großen Teil der türkischen JungwählerInnen repräsentieren. Rund die Hälfte der Erstwähler sollen die MHP gewählt haben. „Wir wollen, daß die Liebe zum Vaterland, die Liebe zum Islam und der Respekt im Umgang miteinander wieder zum Maßstab der Politik wird.“ Sercan (18), bis vor wenigen Wochen Kameramann bei einem religiösen Privatsender, ist der Sprecher der Gruppe. Geschickt umgeht er jedes Fettnäpfchen. „Der Krieg im Kosovo, ja, das ist furchtbar. Egal ob sie Türken sind oder nicht, uns berührt das Leiden der Menschen.“ Vor der Geschichte der Partei schützt sie die Gnade der späten Geburt. Mit den faschistischen Killertrupps der 70er und 80er Jahre haben sie nichts mehr zu tun, die kennen sie nur vom Hörensagen. Ein älterer, der sich mit der Bemerkung einmischt, „es gibt nichts, wofür wir uns schämen müßten“, wird schnell gestoppt.
In Rage geraten die Grauen Wölfe erst beim Thema PKK. Die Kurdische Arbeiterpartei gehöre mit Stumpf und Stiel ausgerottet. „Die Grauen Wölfe“, da sind sich alle einig, „stehen hinter jedem gefallenen Soldaten.“ Die PKK sei eine Marionette feindlicher Staaten, behaupten sie im Brustton der Überzeugung, die Griechen, die Syrer, die Russen und die Deutschen „wollen uns fertigmachen“.
Fast alle sind ohne Job. In den letzten Wochen haben sie ohnehin Tag und Nacht Plakate geklebt. Talarbasa, ein früheres Slumgebiet am Rande des europäischen Zentrum Istanbuls, ist immer noch eine bitterarme Gegend. Für die Jugendlichen sind die Grauen Wölfe ihre soziale Heimat. „Hier“, sagt ein etwas Älterer, „können wir uns aussprechen, aber auch gegenseitig unter die Arme greifen.“
Für die etablierten Parteien haben sie nur Verachtung übrig, eine Alternative wäre für sie allenfalls die islamische Tugendpartei (Fazilet) gewesen. „Zwei Brüder von mir“, erzählt ein Autoelektriker, „sind bei den Islamisten. Aber die haben ja auch versagt.“
Tatsächlich hat die MHP von Wechselwählern profitiert. Fünfzig Prozent der Wähler haben diesmal anders gestimmt als vor vier Jahren. Viele, die 1995 den Islamisten zu deren überraschendem Triumph verholfen haben, sind diesmal zur MHP gegangen. Als Motiv taucht immer wieder der Kampf gegen die PKK auf. Die Koinzidenz zwischen hohem Wahlerfolg und gefallenen Soldaten ist auffällig. In Städten, in denen viele Gefallene zu beklagen waren, hat die MHP gewonnen. „Die MHP wird dafür sorgen, daß Öcalan gehenkt wird“, ist sich die jugendliche Runde in sicher.
Wie man nach der Hinrichtung des PKK-Chefs aber mit der kurdischen Minderheit umgehen soll, die bei den parallel stattgefundenen Kommunalwahlen in allen Städten des kurdisch besiedelten Südostens Bürgermeister von der prokurdischen Hadep gewählt hat, wissen sie auch nicht so genau. „Das wird eine harte Auseinandersetzung zwischen den Bürgermeistern und dem Staat.“ Für die MHP ist die Hadep der verlängerte Arm der PKK und deshalb gehörten die jetzt gewählten Bürgermeister eigentlich sowieso in den Knast. „Wenn das Ausland aufhört, die Terroristen zu unterstützen“, glaubt einer, „werden auch die Leute im Südosten wieder vernünftig werden.“ Gegen die Menschen haben sie ja nichts. „Wir sind schließlich keine Rassisten.“ Eifrig holt einer ein eingerahmtes Bekenntnis von der Wand. „Das ist der Schwur, den jeder Graue Wolf leistet.“ In der entscheidenden Passage erteilt er nicht nur dem Kommunismus und Kapitalismus, sondern auch dem Faschismus eine Absage. Jürgen Gottschlich
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