: Skeptischer Schulterschluß
In Frankreich ist der Argwohn über die Dominanz der USA verbreitet. Vorsichtig plädiert die Regierung für eine internationale Kontrolle des Kosovo ■ Aus Paris Dorothea Hahn
„Wie kann man in Washington an einer neuen Strategie arbeiten, während die Nato erstmals in ihrer Geschichte ernsthaft Krieg führt?“ Die Frage stammt von Paul Quilès, dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des französischen Parlaments. Weitere Frage: „Wie soll die Nato beim Washingtoner Gipfel effizient eine neue Strategie nach dem Ende des Warschauer Paktes erarbeiten, wenn Rußland nicht dabei ist?“
Quilès war einmal Verteidigungsminister und ist Sozialist wie die Mehrheitspartei der rot-rosa-grünen Regierung in Paris. Aber auch er bekommt keine Antwort auf die Fragen, die er am Dienstag nachmittag bei einer Anhörung mehrerer Minister stellt. Verteidigungsminister Alain Richard sagt gar nichts zu dem von Quilès und ParlamentarierInnen verschiedener Parteien gemachten Vorschlag, den „inopportunen Nato-Gipfel“ auf die Zeit nach dem Krieg zu verschieben. Und Außenminister Hubert Védrine versteckte sich gestern in einem Interview von Le Figaro hinter den USA: „Die Gastgeber wünschen, den Gipfel beizubehalten.“
Die Anhörung der Minister vor den Kommissionen für Verteidigung und Außenpolitik ist an diesem Dienstag medienöffentlich – ein seltenes Ereignis. Nur wenige konkrete Antworten kommen vom Außen- und vom Verteidigungsminister. Beide sind Sozialisten, beide verteidigen die zentrale Rolle der USA. Beide bestreiten, daß der Einsatz von Bodentruppen geplant sei, und beide bleiben hartnäckig bei der offiziellen Sprachregelung: „Konflikt“ und „Kosovo-Affäre“.
Die Abgeordneten stellen Fragen, die auch an Frankreichs Eßtischen sorgenvoll diskutiert werden. Warum dauert der Krieg solange? Wird es Bodentruppen geben? Wird Rußland in die Diplomatie einbezogen? Und – immer wieder – was kann die Macht der USA eindämmen?
Kein Nato-Land wolle ein unabhängiges Kosovo, das wäre ein „desaströser Präzendenzfall für die Region“, versichert Außenminister Védrine. An dieser Einschätzung habe sich nichts geändert. Wohl aber gewinne die Idee eines international kontrollierten Kosovo „in Europa und den USA“ an Boden. Eine solche Lösung müßte „von der Nato, von neutralen Ländern und von den Russen“ kontrolliert werden.
Verteidigungsminister Richard will die Abgeordneten von der Sinnhaftigkeit dieses Kriegs überzeugen. „Es ist der kürzeste Weg zu einer diplomatischen Lösung“, sagt er immer wieder. Freilich sei es „ein asymmetrischer Konflikt“, bei dem „wir uns mit anderen Waffen schlagen als der Gegner“. Die Dauer des Konflikts findet Richard im Gegensatz zu früher nicht mehr überraschend: „Die Dauer war bereits bei der Grundsatzentscheidung der Nato im vergangenen Oktober enthalten.“
„Welche Konsequenzen hat der Konflikt für das europäische Projekt?“ will der sozialistische Abgeordnete Louis Mermaz wissen. Und bekommt vom Außenminister die knappe Antwort: „Das ist kein Handicap.“ Der Neogaullist und ehemalige französische Botschafter in Moskau, Jean-Bernard Raimond, will die UNO zwar „maximal“ in den diplomatischen Prozeß einbeziehen, ihr jedoch auf keinen Fall militärische Funktionen geben. Das habe „in Bosnien zu dem Desaster geführt und dazu, daß nun die Nato interveniert.“ Er will „lieber einen Russen als Oberkommandierenden der Interventionstruppe als die UNO“.
Quer durch alle politischen Lager ist die Sorge über die zentrale Rolle der USA zu spüren. Die beiden sozialistischen Regierungsmitglieder versuchen sie mit den dem Argument zu entkräften, das schon vor Wochen der neogaullistische Präsidentensitz benutzte: Die USA hätten nicht Europa ihre Strategie aufgezwungen. Europa müsse froh über die Mitwirkung der USA sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen