piwik no script img

Ich spiele die Post nach Serbien

■  Berlin – Belgrad: Während Transportfirmen derzeit um Jugoslawien einen Bogen machen, fährt der Busunternehmer Petrovic weiterhin die Route. Er nimmt Hilfslieferungen und Passagiere mit

An den Kriegsmeldungen im Frühstücksfernsehen interessiert Svetozar Petrovic derzeit hauptsächlich nur ein Punkt: „Steht die Pancevo-Brücke noch? Wenn nicht, kann ich die Fahrt vergessen“, sagt er. Petrovic fährt nach Belgrad, jede Woche – in seine Heimat, in den Krieg. „Die Autobahnen in Jugoslawien sind leer und im staatlichen Radio berichten sie, daß 40 Nato-Maschinen abgeschossen wurden“, beschreibt Petrovic Eindrücke seiner letzten Tour auf der Europastraße 75, die ihn über Novi Sad nach Belgrad bringt.

Seit 1996 betreibt der 40jährige Serbe ein kleines Transportunternehmen in Charlottenburg, gestern mittag ging es abermals Richtung Balkan. Die Nato-Angriffe haben Petrovics Geschäft nicht unterbunden, aber ihm einen neuen Charakter gegeben. Ein halbes Dutzend derartiger Minibus-Verbindungen stellt die einzige noch vorhandene Transportmöglichkeit von Berlin nach Serbien dar.

Jörg Schaube, Sprecher des Berliner Omnibusbahnhof-Betreibers Bayern Express: „Serbien war bislang Transitland, nun leiten alle Berliner Busunternehmen ihre Linien um das Land herum.“ Und so wird Svetozar Petrovics Kleinspedition zur Anlaufstelle von Serben, die zur Familie ins Kriegsgebiet wollen. Drei bis fünf Personen nehme er auf einer Tour mit, berichtet er, doch „auf dem Rückweg gibt es kaum Passagiere. Aus Serbien raus zu kommen, ist schwierig bis unmöglich“. Transportiert wird aber immer noch – über Petrovics kleines Büro am Fehrbelliner Platz werden private Hilfslieferungen organisiert, Kleidung, Medikamente, Lebensmittelpaletten von Aldi. Die transportiert er gratis, die Hilfstransporte sollen nun in großem Stil organisiert werden. „Es laufen Dutzende Spendenaufrufe für die Kosovo-Flüchtlinge“, erregt er sich, „wer denkt an die Menschen, die unter den Nato-Bomben leiden?“ Knapp 24 Stunden dauert Petrovics Fahrt über Wien und Budapest. Mit seinem 3,5-Tonnen-Bus sei Petrovic einer der wenigen, die die ungarische Grenze nach Serbien bei Subotica derzeit überhaupt noch passieren, viel schneller ginge es deshalb aber nicht: „Kontrollen wie zu Ostblockzeiten“, berichtet er. „Besonders die jugoslawischen Grenzer kontrollieren scharf: Auf dem Hinweg nach Waffen, auf der Rücktour nach Deserteuren.“

Mit seinem deutschen Autokennzeichen ist Petrovic doppelt verdächtig. Er werde, berichtet er, von der serbischen Polizei dauernd gestoppt und kontrolliert: „Die dachten einmal, ich schmuggle Nato-Peilsender ins Land.“

„Jeder hat Angst, jetzt dorthin zu fahren“, sagt Velibor Dobric, den Petrovic bereits mehrmals zur Familie nach Serbien gefahren hat, „aber man muß auch Flagge zeigen und Normalität simulieren.“

Wenn Petrovic Bedenken vor der Reise hat, dann davor, bei einer totalen Mobilmachung der serbischen Armee selbst „dabehalten“ zu werden; mitsamt Lieferwagen. „Wenn was passiert, zahlt sowieso keine Versicherung“, meint er.

Eine Mischung aus Fatalismus, Trotz und praktischer Geschäftssinn treiben ihn trotzdem an. Anstrengung und Müdigkeit sind ihm anzusehen, erst am vergangenen Montag ist er von der letzten Tour in Berlin angekommen, gestern wurde erneut gepackt: Kartons und Pakete vor allem. „Der Paketdienst nach Jugoslawien funktionierte schon vor dem Krieg nicht, also spiele ich Post“, sagt Petrovic, der die Sendungen, auch mehrere Dutzend Briefe, vor Ort direkt an die Empfänger verteilt.

Mit zur Fracht gehören immer auch 80 Liter Benzin in Ersatzkanistern. Denn Benzin gibt es in Serbien kaum noch zu kaufen und „irgendwie muß ich auch zurückkommen“, sagt Petrovic mit gequältem Lächeln und kommentiert die „simulierte Normalität“ ironisch: „Da fahre ich eben besonders sparsam.“ Christoph Rasch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen