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Schlappe für Rußlands Präsidenten

Der Föderationsrat widersetzt sich erneut dem Wunsch Jelzins, den Generalstaatsanwalt zu entlassen. Damit verliert der Kreml weiter an Autorität  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Es gibt nur einen anständigen Menschen: den Staatsanwalt. Aber unter uns, auch er ist ein Schwein“, resümierte Nikolai Gogol vor 150 Jahren in seinem Werk „Der Revisor“. Ähnliches wird auch Rußlands Präsident Jelzin durch den Kopf gehen. Seit Wochen tobt zwischen dem Kremlchef, der Duma und dem Föderationsrat eine erbitterte Fehde um die eigentlich fade Figur des Generalstaatsanwaltes Jurij Skuratow.

Zweimal hatte Rußlands oberster Strafverfolger in den vergangenen zwei Monaten seinen Rücktritt eingereicht. Beide Male stimmten die Vertreter der Regionen im Oberhaus gegen seine Entlassung. Nur 61 Abgeordnete folgten vorgestern im vorerst letzten Wahlgang dem Wunsche des Präsidenten. Skuratow hatte nicht freiwillig um seine Entlassung gebeten, Kremlchef und Präsidialverwaltung sollen erheblichen Druck auf ihn ausgeübt haben.

Am Vorabend der ersten Abstimmung am 17. März zeigte das staatliche Fernsehen ein Video, das den Rechtshüter mit zwei Damen in unmißverständlicher Pose zeigte. Die Entscheidungsfindung der Senatoren beeinflußten die außerehelichen Abenteuer Skuratows nicht. Auch nachdem eine der Frauen aussagte, sie sei von einem Geschäftsmann bezahlt worden, dessen Verfahren Skuratow ausgesetzt hatte, blieb die Mehrheit der Senatoren stur.

Was aussieht wie eine erbärmliche Seifenoper mit einer Heerschar von Mitwirkenden und einer unüberschaubaren Masse von Korruptionsvorwürfen, ist in Wirklichkeit eine der letzten brutalen Schlachten um die Macht im Kreml. Jelzin wollte sich schon im Februar Skuratows entledigen. Damals wurde ruchbar, der Staatsanwalt verfüge über kompromittierendes Material, das Mitarbeiter des Präsidialamtes – unter ihnen Jelzins Tochter und Beraterin Tatjana Djatschenko – belaste.

Viele Spuren führten in die Schweiz, und Skuratow teilte dem Präsidenten mit, daß es Möglichkeiten gäbe, illegal in die Schweiz geflossene Gelder wieder nach Rußland zu holen. In der Zwischenzeit verließ selbst Boris Beresowski, Intimus der Jelzin-Tochter und langjährige graue Eminenz im Kreml, die Bühne. Der sogenannte Oligarch verlor seinen Posten als GUS-Sekretär und wurde vorübergehend sogar mit Haftbefehl gesucht. Die Wogen haben sich inzwischen geglättet ...

Obwohl mehrere Jahre im Amt, war es Skuratow nicht gelungen, auch nur einen der spektakulären Fälle aufzuklären. Er galt als ein willfähriger Handlanger des Kreml. Seit dessen Allgewalt schwindet, hat er in der Rolle des unbestechlichen Rechtsverwesers bei der kommunistischen Opposition Unterschlupf gefunden.

Über dem Kreml bricht die Abenddämmerung herein. Nachdem nun auch die Senatoren Jelzin die Gefolgschaft aufgekündigt haben, steht der Präsident allein. Mit der Duma und der Regierung Primakow befindet er sich ohnehin im Dauerclinch. Nach und nach verlassen auch die Mitarbeiter der Präsidialverwaltung das sinkende Schiff. Obwohl Jelzin bis zur letzten Minute noch versucht hatte, die Gunst der Gouverneure durch großzügige Versprechen zu gewinnen, versagte die Präsidialkanzlei, das Ziel zu sichern.

Per Ukas bleibt Skuratow weiterhin vom Dienst suspendiert, und Jelzin wäre nicht Jelzin, wenn er das Oberhaus nicht erneut mit der Abwahl beauftragte. Der Fall Skuratow machte deutlich: Das Präsidialsystem hat die Macht an Duma und Föderationsrat verloren. Rußland verwandelt sich in ein parlamentarisches System. Berechenbarer wird es damit nicht.

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