: „Das Absurde ist unser Schicksal“
■ E-Mail aus Belgrad: Die taz dokumentiert in loser Reihenfolge die Briefe der 24jährigen Studentin Andjela an ihre Freunde beim Augsburger Jugendmagazin „X-Mag“, ihren Versuch, mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben
Lieber Albert,
als der Krieg ausbrach, war mir klar, daß der einzige Weg, mit der Außenwelt in Verbindung zu bleiben, über E-Mail führte. Die meisten meiner Freunde unterstützten mich, waren freundlich und besorgt, wie es mir während der Luftangriffe ergeht. Nach einer Weile kamen jedoch irritierende Dinge zum Vorschein: Als ich etwa einem Freund in Großbritannien einen Brief schrieb, in dem ich schilderte, wie die Nato mit ihren Luftangriffen auf Jugoslawien internationales Recht verletzte, antwortete er mir: „Du muß blind sein, wenn du solchen Scheiß schreiben kannst. Deine Leute sind es, die als die Nazis des späten 20. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben werden.“ Er selbst habe sich einer Kosovo-Hilfsorganisation angeschlossen, als er von den „furchtbaren Greueltaten, zu denen die serbische Mentalität fähig ist“, erfuhr. Das schmerzte.
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Ich bin immer sehr empfindlich gegenüber den Zuschreibungen gewesen, mit denen die Wörter „Serben“ und „Serbien“ üblicherweise belegt werden. Ich habe mich nie als eine „typische Serbin“ betrachtet. Nie bin ich der offiziellen Sicht der serbischen Regierung gefolgt. So war ich doppelt entsetzt: blind genannt zu werden und in den alten Mülleimer der Mentalität geworfen zu werden. Sind wir „böse durch Geburt“? Wird das die gängige Erklärung für den Horror, der in den vergangenen zehn Jahren Ex-Jugoslawien heimgesucht hat?
Es wird schnell vergessen, daß die Menschen in Jugoslawien von von dem Moment an einer unbarmherzigen Medien-Manipulation unterworfen wurden, als die Probleme auf dem Balkan begannen (schon davor – Titos Jugoslawien war auch nicht gerade das Musterbeispiel einer Demokratie). Vergessen wird auch, daß das staatlich kontrollierte Fernsehen RTS die Leute genau das denken macht, was Präsident Miloevic will. Sie sind wütend geworden, verbittert und bereit, westliche Soldaten durchs gesamte Land zu jagen, wenn sich die Nato entschließen sollte, Bodentruppen nach Serbien zu schicken. Diese Phantasien machen sich nicht irgendwo in einer rückständigen Provinz breit, mehrere hundert Kilometer vom „kosmopolitischen Belgrad“ entfernt. Nein, mit solchen Vorstellungen muß ich mich zu Hause auseinandersetzen. Mein eigener Vater steht bereit, bis zum letzten Tropfen Blut das Vaterland zu verteidigen. Überflüssig zu sagen, daß er nichts von meinen Briefen weiß.
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Hätte all dies nicht verhindert werden können? Gibt es tatsächlich einen guten Grund für die Nato-Intervention? Etwa den Sturz von Miloevic, wie es heißt? Damit kommt die westliche Demokratie zehn Jahre und drei Kriege zu spät. Warum bombardiert die Nato Brücken, Kraftwerke und Wohnbezirke, während ihr vorgeblicher Hauptfeind Slobodan Miloevic in seinem sicheren Palast in Dedinje Havannas pafft und mit Gästen aus brüderlich-orthodoxen Ländern Nettigkeiten austauscht? Die skandalöseste Antwort, die ich auf diese Frage bisher bekommen habe, lautet, daß in dem Schloß ein sehr seltener Rembrandt aufbewahrt wird und die Nato nicht für die Zerstörung eines Erbes der Weltkultur verantwortlich sein will.
So lächerlich dies auch erscheint, es ist nicht weniger absurd als die Tatsache, daß die Nato „aus Versehen“ einen Konvoi mit albanischen Zivilisten bombardiert, dabei 60 Menschen tötet und dies anschließend „bedauert“. Oder daß ein Bombensplitter ein dreijähriges Mädchen in Belgrad tötet (dieser Fall wurde nicht offiziell „bedauert“). Oder daß sich 80.000 russische Freiwillige für die Verteidigung Serbiens melden und damit das Vorspiel für den dritten Weltkrieg einleiten. Ein Begriff, den sich nur noch niemand auszusprechen wagt. Daß sowohl Ziel als auch Ende der Nato-Mission immer weniger auszumachen oder auch nur zu ahnen sind, macht mich in der Tat nervös. Sind Clinton, Blair & Co. nur ein Haufen von Scharlatanen, die nach einem einfachen „Los jetzt“ ihr Spiel mit dem Leben von Millionen Menschen treiben? Was glaubten sie zu erreichen?
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Die Ausrede, „eine humanitäre Katastrophe zu verhindern“, wird um so haarsträubender, je mehr Zeit vergeht und die reale humanitäre Katastrophe in Jugoslawien täglich fatalere Züge annimmt. Man muß keine „serbische Mentalität“ haben, um zu erkennen, daß die Glaubwürdigkeit der „friedensschaffenden“ Nato nachhaltig erschüttert ist – eine große Zahl von weltweit angesehenen Intellektuellen, Schriftstellern und Journalisten hat dies klar dargestellt: Die Nato-Militäraktion war von Beginn an sinnlos und muß sofort beendet werden. Wir scheinen nur leider in einer Zeit zu leben, in der gesunder Menschenverstand selten und eine unbedeutende Tugend ist.
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Als ich beobachtete, wie sich die serbische Bevölkerung die vergangenen zehn Jahre genüßlich im Dreck des Totalitarismus suhlte, dachte ich, was für eine dumme, selbstzerstörerische Nation wir sein müssen. Nun merke ich, daß wir nicht die einzige sind.
Meine Generation hat an den Westen geglaubt: Wir gingen ins Ausland, lernten fremde Sprachen, ließen uns in den Grundwerten westlicher Kultur schulen und glaubten an den Fortschritt. Dafür haben wir Bomben und den Titel „Nazis des späten 20. Jahrhunderts“ zurückbekommen. Woran soll ich nun glauben? In Jugoslawien werde ich wohl den Fluch der Minderheit leiden. Ich bin in der Hinsicht zumindest also gar nicht so verschieden von den Kosovo-Albanern. Daher – so absurd es auch klingt – fühle ich mich ihnen verbundener als meiner Nation. Denn schließlich ist die Absurdität unser gemeinsames Schicksal.
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