piwik no script img

100 Schuster und ein konservierter Ritter

Die erste VeloTour 99: Von Neustadt (Dosse) über Kampehl nach Netzeband durch offene Luchlandschaft  ■   Von Benno Koch

Kaum eine Bahnstunde von Berlin entfernt liegt Neustadt (Dosse). Hier beginnt unser Radtourentip durchs Ruppiner Land nach Netzeband. Am Bahnhof überqueren wir die Gleise und radeln ins nur wenige hundert Meter nördlich gelegene Kampehl. In einem kleinen Feldsteinanbau an der Kirche befindet sich die Gruft des Ritters Kahlbutz. Seit fast 300 Jahren ranken sich Sagen und Rätsel um die natürlich mumifizierte Leiche des einstigen Rittergutsbesitzers. Einer Sage nach soll der 1702 verstorbene Fahnenjunker Kahlbutz beim Streit um einen Weideplatz einen Schäfer erschlagen haben. Da es weder Zeugen noch Beweise gab, konnte sich Kahlbutz später durch einen „Reinigungseid“ freisprechen. Wer sich in die enge Gruft begeben möchte, um die unglaubliche Geschichte von Leben, Tod und Spuk in und um Kampehl zu erfahren, sollte zeitig aufstehen. Entlang der schönen Allee geht es weiter bis zur Bundesstraße 5, der wir ein kurzes Stück in die einstige Handwerkerstadt Wusterhausen folgen. Im 19. Jahrhundert sollen hier fast hundert Schuhmachermeister das Stiefelwerk der preußischen Armee hergestellt haben. Noch heute prägen die alten Fachwerkhäuser das Stadtbild rund um den Markt. Wir radeln nun der Ausschilderung folgend auf einer ruhigen Landstraße über Gartow nach Dessow. Kurz hinter der alten Brauerei zweigt eine schmale Allee ab, die zwischen weiten Feldern hindurch nach Trieplatz führt. Am Ortsausgang halten wir uns rechts, radeln auf dem festen Sandweg bis zur Waldkreuzung. Rechts führt der Weg dann einige Meter hinauf nach Blankenberg. Am Ende des kleinen Dorfes gabelt sich erneut ein etwas sandiger Fahrweg, dem wir rechter Hand zum Temnitztal folgen. An der ersten Kreuzung geht es nach links, und wir erreichen die offene Luchlandschaft an der Temnitz. Direkt an der Waldkante ist ein grasbedeckter Fahrweg zu erkennen der zum Burgwall Bertikow führt. Der kreisrunde Burgwall ist von alten Eichen bewachsen und soll im 10. Jahrhundert als Fluchtburg vor den Germanen gedient haben. Heute ist hier vor allem Ruhe und Beschaulichkeit zu finden. Links hinter dem Wall führt ein später ausgeschilderter Plattenweg hinüber zum Grenzweg. Kurz vor Netzeband lohnt sich ein Abstecher zum „Waldgasthof“ am Eichengrund. Im kleinen märkischen Straßendorf Netzeband erreichen wir nach 35 Kilometern unser Ziel. Hier findet im Juli und August bereits zum vierten Mal der Theatersommer statt (Infos über Förderverein Temnitzkirche e.V., Tel.: 03 39 24/898 28). Seit sechs Jahren entwickelt sich der Ort zu einem Zentrum für Kunst und Kultur, der sich dem sanften Tourismus verschrieben hat. Neben der Temnitzkirche sind inzwischen zahlreiche Häuser und Höfe restauriert. Auch den kleinen, vom Verfall gekennzeichneten Bahnhof des 200-Seelen-Dorfes gibt es noch, von wo die Züge über Neuruppin und Neustadt (Dosse) zurück nach Berlin fahren. Für die Rückfahrt mit der Bahn sollte jedoch etwas Zeit eingeplant werden, da in der Fontanestadt Neuruppin eine Stunde Aufenthalt offenbar unvermeidlich ist. Die Prignitzer Eisenbahn hat erst im vergangenen Dezember die Strecke nach Neustadt (Dosse) übernommen, die durch schlechte Fahrplanabstimmung immer unattraktiver wurde und zuletzt nach dem Willen der Deutschen Bahn AG ganz stillgelegt werden sollte. Eine Rundfahrt durch die Altstadt von Neuruppin, verbunden mit einem kleinen Restaurantbesuch, kann die Wartezeit aber angenehm verkürzen. Oder man entscheidet sich bereits in Netzeband für eine Übernachtung in den Märkischen Höfen (Tel. 033 924-89 80).

Hinfahrt ab Berlin Zoologischer Garten mit RE 4 ab 6.19 Uhr,stündlich Rückfahrt ab Netzeband bis 18.18 Uhr alle zwei Stunden mit RB 71 nach Neuruppin, von dort bis 19.37 Uhr alle zwei Stunden mit der Prignitzer Eisenbahn nach Neustadt (Dosse) und dann stündlich mit RE 4 (z.B. 20.36 Uhr) zurück nach Berlin.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen