Schnickschnackscheißidee

■ Ein Experimentalfilm über ein experimentelles Spiel und die 90er: „killer.berlin.doc“ mag scheitern. Aber was macht's? (0 Uhr, ZDF)

„.doc“ heißt document. Dokumentiert wird ein Spiel. Und das hat (eigentlich) eine Scheißidee: „In dem Wunsch, vom eigenen Leben in einer sich wandelnden Stadt zu erzählen“, heißt es im Prolog zum Film, „entschließen sich im Mai 1998 zehn Personen, ihr Leben in Berlin für 14 Tage zur Fiktion zu machen. Sie spielen ,Killer‘ – ein Spiel, in dem niemand vom anderen weiß und jeder sowohl Täter als auch Opfer ist. Der Auftrag lautet, eine vorgegebene, aber dem Spieler vorher unbekannte Person ausfindig zu machen und sich den perfekten Mord für das Opfer auszudenken.“

Eine Art Gehirn-„Gotcha!“ für gelangweilte Generation-Xler also: Im besten Fall sind sie schlicht zu feige für den verzweifelten Amoklauf, im schlechtesten bloß einsame Herzen, die nicht wissen, was sie tun (sollen). Opfer, so konnte man meinen, sind die „Killer“ auch ohne das blöde Spiel: Opfer der Off-Szene. Denn sie sind DJ, Cutterin, Fotografin, Zeichner, kommen aus Westdeutschland, den USA, aus Japan, aus England. Wenn sie in „killer.berlin.doc“ zwischendurch immer wieder über Berlin reden müssen, sagen sie kluge Sätze („Dort geht man hin, wenn man was anders machen will.“) oder selbstgefällige ( „Berlin ist ein Dorf.“). Wenn sie spielen, werden sie kreativ – was wahlweise Schwarzlakkierte-Bierdosen-als-Autobombe-an-einen-Auspuff-Binden heißen kann, aber auch Sich-mittels-Schiffeversenken-Duellieren.

“Killer“ ist ein Experiment und „killer.berlin.doc“ ein experimenteller Film. Und gelungen – soviel steht fest – ist es den Experimentalisten Tina Ellerkamp und Jörg Heitmann nicht, den Spielverlauf verständlich zu erzählen. Wer gerade wem auflauert, was tut und (vor allem) von wem koordiniert, finanziert – und (inwieweit) inszeniert, geht schon bald unter im Wackeln der beigebräunlichen Camcorderbilder. Zehn Protagonisten taugen vielleicht für eine Daily-Soap, zehn Erlebnisprotokolle für zehn kleine Negerleinreime. Aber für 73 mitternächtliche Fernsehspielminuten?

Vielleicht ist das auch gar nicht wichtig. Die lauen Mainächte Berlins sind bräunlich; und beigefarben die Tage. Und die 90er Jahre sitzen ja tatsächlich genauso in den Cafés, arbeiten, gehen ins Schwimmbad wie die zehn Mitspieler und beobachten einander ohnehin. Und vielleicht ist das „Killer“-Spiel auch einfach nicht so ausgeklügelt wie „Schnickschnackschnuck“ oder „Mensch ärgere dich nicht“ – und das Experiment gescheitert. Aber was macht das schon?

So kann man Gefallen finden an diesem Film. Sei's, weil er so beliebig daherkommt, intim, assoziativ und rührend apokalyptisch. Oder sei es auch nur, daß uns unsere „Tatort“-geschulten Gemüter einen Streich spielen und der multiple Mythos vom perfekten Mord – in the mix mit unserer Lust am Verfolgungswahn – selbst in der Verfremdung seine tabuisierte Unwiderstehlichkeit bewahrt.

Im Mai 1998 übrigens heißt die Lösung „Kamikaze“. Danach ist das Spiel zu Ende. Gewinner gibt's keinen, aber: mehr Bilder und Sätze, weniger Einsamkeit.

Christoph Schultheis