: Führungslose Kosovo-Albaner
■ Die Machtansprüche der UÇK verhindern die Bildung einer gemeinsamen Regierung
Hunderttausende sitzen verzweifelt in den Flüchtlingslagern Makedoniens, Albaniens oder Montenegros. Die Bevölkerung des Kosovo wird von den humanitären Organisationen und von Nato-Truppen versorgt. Von der eigenen politischen Führung ist weit und breit nichts zu sehen.
Der vor einem Jahr gewählte Präsident Ibrahim Rugova steht seit dem 25. März in seinem Haus in Pritina unter Hausarrest. Die Führung seiner Partei „Demokratische Liga Kosovas“ (LDK) brauchte drei Wochen, um in der makedonischen Hauptstadt Skopje das erste Mal nach den Massenvertreibungen zusammenzutreffen. Die Führung der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UÇK unter Hashim Thaci rief kurz nach Beginn der Nato-Bombardierungen eine Exilregierung in Tirana aus, die bisherige Exilregierung unter Premierminister Bujar Bukoshi betrachtet sich aber trotzdem als weiter im Amt.
Die UÇK, die Demokratische Liga von Rugova und Bukoshis Exilregierung sind nicht in der Lage, auch nur eine gemeinsame politische Plattform zu erstellen. Die in Tirana von der UÇK ausgerufene Regierung wird nicht nur von den politischen Kontrahenten, sondern auch von den meisten westlichen Regierungen ignoriert.
Nach seinem Besuch in Tirana erklärte der Exilpremier Bukoshi Mitte letzter Woche: „Die UÇK hat einen Führungsanspruch, der nicht akzeptabel ist. Wir dürfen uns einen Putschismus nicht erlauben. Wir brauchen einen politischen Kompromiß, bis wir eine demokratisch legitimierte Führung schaffen können.“
Im Gegenzug kritisierte die UÇK Bukoshi, der „immer noch die ihm zur Verfügung stehenden Gelder der wahren Führung der Kosovo-Albaner vorenthält.“ Gemeint sind die in der Emigration gesammelten drei Prozent des Einkommens, die für den ehemaligen Schattenstaat im Kosovo zur Verfügung standen. Die UÇK rechnet mit einem Vermögen von mehreren hundert Millionen Mark in den Händen Bukoshis, was vermutlich übertrieben ist. Bukoshi hatte kürzlich trotz aller Differenzen 40 Millionen Mark des Verteidigungshaushalts den militärischen Strukturen der Kosovo-Albaner, also der UÇK, zur Verfügung gestellt. Sowohl die Regierung Albaniens als auch die westlichen Mächte drängen die Kosovo-Albaner jedoch, zu einem Kompromiß zu kommen.
US-Außenministerin Madeleine Albright erreichte von der Führung der UÇK das Zugeständnis, fünf Ministerposten für die Führung der Partei Rugovas offenzuhalten. Bisher konnte sich die Führung der LDK jedoch noch nicht dazu entschließen, die Mitglieder einer künftigen Regierung zu benennen. Die bisherige Außenministerin Rugovas, Edita Taheri, die sich über die Parteigrenzen hinaus Ansehen erworben hat, wird, falls die Voraussetzungen erfüllt sind, vermutlich in ein solches Exilkabinett eintreten.
Kern der Auseinandersetzung ist das Verhalten der UÇK, die nicht bereit ist, ihren Machtanspruch aufzugeben. Der politische Flügel der UÇK fühlt sich als die wahre Führung der Kosovo-Albaner, ist jedoch bisher nie demokratisch bestätigt worden. Exilpremier Bukoshi sieht deshalb keinen Anlaß, von seinem Posten zurückzutreten. Erst wenn ein Kompromiß gefunden würde, erst wenn die UÇK sich der zivilen Führung unterordne und als eine Armee der Kosovo-Albaner ohne eigene politische Ambitionen auftrete, könnte der Streit beigelegt werden, erklärte Bukoshi gegenüber der taz.
Die Zeit drängt. Denn die Menschen in den Lagern können die Auseinandersetzungen der Führungseliten nicht mehr nachvollziehen. Sie verstehen auch nicht, warum sich die meisten politischen Führer nicht in den Lagern sehen lassen. Immerhin soll jetzt zur Selbstorganisation in den Lagern aufgerufen werden. „Lagerkomitees könnten versuchen, den versprengten Parteimitgliedern wieder Mut zu machen,“ erklärte Hafiz Gagica, der Vertreter der LDK im Ausland.
„Wie in allen postkommunistischen Gesellschaften sind auch die Kosovo-Albaner gewohnt, daß eine Führung für sie spricht. Selbstorganisation muß erst gelernt werden,“ erklärte Baton Haxhiu, Chefredakteur der unabhängigen kosovo-albanischen Zeitung koha ditore in der makedonischen Stadt Tetovo, wo jetzt die Zeitung wiederersteht. Am vergangenen Samstag erschien eine erste Ausgabe der Zeitung im Exil. „Wir sind dazu berufen, den Menschen in den Lagern wieder Mut zu geben, dies ist unser Auftrag.“ Erich Rathfelder
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