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„Kosovo, Serbiens Südvietnam“

■  Daniel Ellsberg, vor drei Jahrzehnten Aktivist gegen den Vietnamkrieg, sieht, wie die Geschichte sich wiederholt

Daniel Ellsberg war 1965 Angestellter des Pentagon und veröffentlichte interne Dokumente und Studien, die später als „Pentagon Papiere“ bekannt wurden. Sie zeigten, wie die USA vorsätzlich in Vietnam einen Krieg ausweiteten, den zu gewinnen als aussichtslos galt. Seine Enthüllungen kehrten die öffentliche Meinung zum Vietnamkrieg in den USA um. Die CIA bestätigte Ellsberg „patriotische Motive“ für sein Vorgehen.

taz: Herr Ellsberg, Sie haben gesagt, der Bombenkrieg gegen Jugoslawien komme Ihnen wie ein Déjà-vu vor. Sie haben das alles schon mal erlebt?

Daniel Ellsberg: Nicht anders als im Pentagon damals weiß heute jeder da, wo sich die Staatschefs der Nato-Länder versammeln, daß ein schrecklicher Fehler gemacht wurde. Ich war gerade sechs Monate im Amt, als die USA den Golf-von-Tonking-Zwischenfall provozierten (amerikanische Kriegsschiffe kamen 1965 den Territorialgewässern Nordvietnams bedrohlich nahe und wurden von Küstenbatterien beschossen, was Lyndon Johnson als Vorwand für die Auslösung des Bombenkriegs gegen Nord-Vietnam diente. Anm. d. Red.). Auch heute wird der Bombenkrieg durch verlogene Propaganda und durch eine rechtlich zweifelhafte Hintertür begonnen, um eine Kriegserklärung durch den Kongreß zu umgehen. Heute heißt es, man müsse dem Bombenkrieg noch etwas Zeit geben, um seine volle Wirkung zu entfalten. Vietnam wurde acht Jahre lang bombardiert, was nicht zum gewünschten Erfolg führte.

Jugoslawien ist nicht Vietnam, Milosevic ist nicht Ho Chi Minh.

Der Hauptunterschied ist, daß Jugoslawien keine Grenze mit einem Nachbarn wie China hat, was übrigens der Grund dafür ist, daß so leichtfertig über die Entsendung von Bodentruppen geredet wird. Die Invasion Nordvietnams verbot sich damals von allein, die Entsendung von Bodentruppen in das Kosovo aber käme einem Einmarsch in Nordvietnam gleich, denn anders als im damals schon geteilten Vietnam bilden Serbien und Kosovo eine Einheit. Die Ähnlichkeiten Jugoslawiens mit Vietnam sind aber letztlich größer als die Unterschiede. Kosovo ist Serbiens Südvietnam.

Warum kommt eigentlich niemand auf diesen ins Auge springenden Vergleich? Den Serben ist das Kosovo so wichtig wie dem Nordvietnamesen die Einheit des ganzen vietnamesischen Vaterlandes war.

Die Nordvietnamesen betrieben gegenüber dem Süden keine Politik der ethnischen Säuberung.

Ich war damals im Pentagon dafür zuständig, die Kriegsverbrechen des Vietcong und der nordvietnamesischen Armee zu dokumentieren. Sie begingen entsetzliche Verbrechen. Sie betrieben Zwangsrekrutierung und bestraften ganze Dörfer, die nicht auf ihrer Seite standen. Der Bombenkrieg aber hat mehr Menschen umgebracht als dieses Zwangsregime. Im Kosovo wird es nicht anders sein.

War die Nato angesichts der bevorstehenden Massenvertreibung der Kosovo Albaner nicht gezwungen, etwas zu tun?

Was würden Sie zu jemandem sagen, der Benzin auf ein brennendes Haus wirft und dazu sagt: ich mußte doch etwas tun – und hatte nichts anderes als Benzin? Und besonders empört bin ich darüber, daß die Deutschen sich an diesem Krieg beteiligen und die Grünen das unterstützen. Daß Deutsche wieder Bomben auf Belgrad werfen, das ist, als würden in einem künftigen Konflikt Amerikaner wieder Hanoi bombardieren.

Jüdische Organisationen haben im Zweiten Weltkrieg Roosevelt verzweifelt und vergeblich darum gebeten, die Bahnlinien nach Auschwitz und die Todeslager zu bombardieren.

Was im Kosovo geschieht, hat nichts mit irgend etwas zu tun, was wir bombardieren könnten. Geben Sie mir ein Ziel, dessen Ausschaltung die ethnischen Säuberungen aufhält, und ich werde die Bombardierung unterstützen. Die Lösung des Kosovo-Problems geht nicht durch Krieg und die Nato unter Führung der USA, sondern durch UNO oder OSZE unter Vermittlung Rußlands.

Was machen Sie heute?

Ich schreibe meine Memoiren und hatte gehofft, über Vergangenes zu schreiben, jetzt entdecke ich, daß ich Memoiren der Gegenwart schreibe. Interview: Peter Tautfest

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