: Glück hinter Schimmelwänden
■ Georgien beginnt im Keller Europas: Die „Aufzeichnungen“ von Clemens Eich sind ein Beutebuch in der Erkundung des Fremden
Nur wenige Kapitel des Buches wurden fertig. Sie deuten an, was uns durch den Tod von Clemens Eich entgangen ist, der während seiner Arbeit an dem Georgien-Text an den Folgen eines nie vollständig aufgeklärten Unfalls in Wien gestorben ist. Eich hatte sich vorgenommen, einen rund 200-seitigen Text über seine drei Reisen und Aufenthalte in diesem fremden Land diesseits wie jenseits von Europa zu verfassen: „Ein Buch des Fragens“ sollte sein „Beutebuch aus Georgien“ sein, ganz bestimmt aber „kein Sachbuch und kein Reisebuch“. Was vorliegt, sind lediglich fünf Kapitel (66 Seiten), denen noch einmal rund 50 Seiten mit Notaten, Skizzen, Fragmenten, aber auch mit erheblichen Redundanzen hinterhergeschickt werden – und schließlich noch ein Nachwort von Ulrich Greiner.
Eichs von „erstaunlicher Leichtigkeit und Klarheit“ (Greiner) geprägte Sprache ist durchaus beeindruckend. Ebenso sein Impuls, in der Beschreibung der grundsätzlichen Distanz zu diesem Land eine neue Nähe zu sich selbst zu finden. Doch übriggeblieben ist leider nur der Ansatz dazu, ein wunderbares erstes Kapitel („Prolog Tiflis“), in dem Eich inmitten jenes dramatischen Winters 1997 seine zwiespältigen Gefühle angesichts der Tristesse eines vom Krieg zerstörten Landes, der Hoffnungslosigkeit und bitteren Armut, zugleich aber auch „ein leises Glücksgefühl hinter den bröckelnden, tropfenden Schimmelwänden“ ausdrückt. In einem Krankenhaus, das er wegen einer Augenverletzung aufsucht, trifft er auf eine Georgierin, die ihm zum Leitmotiv seines Buches verhilft: „Sie haben mit allem in Georgien gerechnet, nur nicht mit sich selbst.“
Leider ist Eich dann nicht mehr dazu gekommen, diese Selbsterkundung im fremden Land zu betreiben. Was in den weiteren Kapiteln – vom Abflug in Frankfurt, wo Georgien im tiefsten Keller des Flughafens beginnt, über verschiedene Reisen und Ausflüge in georgische Dörfer und in den Kaukasus bis zu Sitten und Gebräuchen – erzählt oder berichtet wird, streift oftmals Klischees und Stereotype. Von Stolz, Hochmut und Nationalismus ist da die Rede oder von jenen berühmten schwarzen georgischen Augen; von Stalins ubiquitärer Präsenz oder von der Bedeutung Schewardnadses und schließlich von dem für Europäer undurchsichtigen Krieg im Kaukasus, einem Kampf aller gegen alle: „Man wacht auf und weiß nicht, wo man ist. Es könnte die Toskana sein, nein, Umbrien, auch nicht ganz, am ehesten Süditalien, dort, wo es am kaputtesten ist. – Das ist Georgien. Vielleicht. – Primitiv und verkommen, schlicht und schön.“ Werner Jung
Clemens Eich: „Aufzeichnungen aus Georgien“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999, 124 Seiten, 32 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen