: Die Nato gegen den Rest der Welt
■ Kosovo-Krieg: Der Westen erhebt sich zur globalen Moralinstanz – und wird die Konflikte, die er verhindern will, schüren
„Nato gegen Miloevic“, so wird der Krieg in Jugoslawien gängigerweise verstanden. Aber es geht um mehr, es ist ein Krieg, der den europäischen Rahmen überschreitet. Die Nato repräsentiert die mächtigsten Staaten der Welt, politisch, militärisch, ökonomisch und kulturell – und alles, was sie tut, hat globale Auswirkungen. In diesem Krieg geht es nicht nur um das Schicksal des serbischen Diktators, der Kosovo-Albaner und eine Sicherheitsarchitektur für den Balkan. Wie auch immer dieser Krieg ausgehen wird – die Nato hat schon jetzt die Beziehung, die manche „Der Westen und der Rest der Welt“ nennen, neu definiert. Und mir scheint, daß diese Neubestimmung weder dem einen noch den anderen nutzen wird.
Wenn man über dieses Problem spricht, ist es sinnvoll zu erwähnen, aus welcher biographischen Perspektive ich „den Westen“ betrachte. Ich habe den größten Teil meines Lebens in einem kommunistischen Land verbracht, in Georgien, das früher Teil der Sowjetunion war. Ich war stets prowestlich eingestellt, denn der Westen symbolisierte für mich Freiheit, Demokratie und eine offene Gesellschaft. Daher rührte auch mein Respekt für die Nato, denn Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich, sie brauchen militärischen Schutz. Westliche Pazifisten, die diese einfache Tatsache ignorierten, waren mir stets verdächtig. Das gleiche gilt für jene, die gegen den „westlichen Imperialismus“ agitierten – ich wußte aus eigener Erfahrung, was wahrer Imperialismus war. Nach dem Ende des Kalten Krieges erschien mir die Osterweiterung der Nato naheliegend und richtig und der russische Protest dagegen als irrationale Reaktion einer Supermacht a.D. Und heute in Berlin möchte ich nicht mit jenen links- und rechtsextremen Antikriegsprotesten identifiziert werden.
Trotzdem mißtraue ich diesem Krieg. Gewiß ist Miloevic ein blutiger Diktator, der unsagbare Grauen in Kosovo zu verantworten hat und dafür bestraft werden muß. Und wenn die serbische Bevölkerung diese Verbrechen gutheißt, so ist es in gewisser Weise gerecht, daß auch sie von der westlichen Strafaktion getroffen wird. Wenn westliche Politiker sagen, daß der Westen diese Barbarei Ende des 20. Jahrhunderts in Europa keinesfalls dulden darf, so verstehe ich diesen moralischen Impuls. Sympathisch erscheint mir auch, daß dieser Krieg sich nicht in das unglückselige Paradigma des „Kampfes der Kulturen“ einfügt – denn hier geht es darum, ein kleines muslimisches Volk gegen eine übermächtige, aggressive, christliche Nation zu verteidigen.
Allerdings ist, wie man weiß, der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert. Und es ist noch immer unklar, wohin diese Luftangriffe führen: zu einer gerechterenWelt, in der Diktatoren bestraft und Minderheiten geschützt werden, oder zu einer noch konfuseren und feindseligeren Welt. Die Nato hat in diesem Krieg unvermeidliche Fehler gemacht. Ein Nato-Pilot hat sein Ziel falsch eingeschätzt und kosovo-albanische Zivilisten getötet, die er doch beschützen sollte. Die Nato-Strategen haben Miloevic' Reaktion auf die Bomben falsch eingeschätzt. Sie dachten, er würde sich „rational“ verhalten und sich der überwältigenden militärischen Macht beugen. Doch Miloevic wählte einen anderen Weg, der aus seiner Sicht kaum weniger „rational“ erscheint: verschärfte ethnische Säuberungen, bevor seine Armee zerstört ist. So wurde die Nato mitschuldig am Elend der Kosovo-Albaner (obwohl Miloevic natürlich der Hauptverantwortliche ist). Seitdem hofft die Nato, daß dem serbischen Diktator irgendwann nur übrigbleibt, die weiße Flagge zu hissen. Ob und wann dies geschehen wird, weiß niemand.
Aber es gibt noch mehr verwirrende Aspekte. Obwohl es in diesem Krieg auch um traditionelle nationale Interessen geht (ein stabiler Balkan ist wichtig für die Sicherheit Europas, mehr als eine Million kosovo-albanische Flüchtlinge destabilisieren die Region), ist seine Begründung neu. Dieser Krieg, so sagen die westlichen Politiker, wird für Demokratie und Menschenrechte, gegen Diktatur und Barbarei geführt. Die schärfsten Befürworter des Krieges waren früher gegen den Vietnamkrieg, Skeptiker der Nato-Osterweiterung und sind eher befremdet, wenn vom nationalen Interesse die Rede ist. Ohne diese „68er“ wäre dieser Krieg politisch unmöglich. Fast scheint es, als hätte amnesty international die Nato zu ihrem militärischen Werkzeug gemacht. Der politische Idealismus scheint die selbstsüchtige Realpolitik besiegt zu haben. Ist das kein Grund zum Jubeln?
Einen Moment! Denn durch die moralische Legitimierung des Krieges bringt sich der Westen selbst in einen Zugzwang, dem er kaum genügen können wird. Der Vorwurf, scheinheilig zu sein, wird ertönen, eine Glaubwürdigkeitskrise die Folge sein. Der Widerwillen, Bodentruppen einzusetzen und das Leben westlicher Soldaten aufs Spiel zu setzen, ist der erste offenkundige Bruch mit jener hochfliegenden moralischen Kriegslegitimation. Zudem wird der Westen künftig moralisch verpflichtet werden, in ähnlichen Sitationen zu intervenieren – und sich zu Recht den Vorwurf der Doppelmoral (wenn nicht des Rassismus) einhandeln, wenn er sich weigert einzugreifen. Vorstellbar ist, daß Führer ethnischer Minderheiten versuchen werden, die Mehrheit zu Gewalttätigkeiten zu provozieren – in der Hoffnung, daß dann die Nato auf ihrer Seite interveniert. Das bedeutet: nicht weniger, sondern mehr gewalttätige Konflikte. Und der Westen wird „gerechte Lösungen“ für ethnische Konflikte und Unabhängigkeitskämpfe finden müssen, in denen es keine gerechten Lösungen geben kann – sondern nur ein Entweder-Oder.
Außerdem beansprucht der Westen mit dieser Aktion die Position moralischer Überlegenheit gegenüber dem Rest der Welt. Der Westen führt einen einsamen moralischen Kreuzzug und wird damit antiwestliche und berechtigte Ressentiments ernten. Glaubt man den Politikern, kämpft der Westen gegen die Barbarei. Das bedeutet: Der Westen beansprucht neuerdings alleine, die Zivilisation zu verkörpern – und er glaubt, diese Mission mit Bomben durchsetzten zu dürfen, wenn es ihm angemessen erscheint.
Gewiß ist der UN-Sicherheitsrat ineffektiv, gewiß ist das Vetorecht nicht mehr imstande, die neuen globalen Machtverhältnisse widerzuspiegeln, und gewiß wird die nationale Souveränität oft von blutigen Diktatoren mißbraucht. Aber beides, die UNO und das Prinzip nationaler Souveränität, begrenzen die Machtausübung international. Wenn der Westen beides überflüssig macht, wenn er seine Macht und Moral über internationales Recht stellt, dann nimmt er die Weltgerechtigkeit in die eigenen Hände.
Es ist ein Glücksfall, daß die ungeheure Macht des Westens durch demokratische Regierungen kontrolliert wird. Denn in Demokratien geht es per se um die Begrenzung und gerechte Verteilung von Macht. Aber diese demokratischen Machtbegrenzungsmechanismen sind nach innen gerichtet. Die Macht der Nato wird beschränkt durch die demokratischen Entscheidungsmechanismen der Nato-Staaten sowie die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nato-Mitgliedern. Doch international scheint es nun keine Machtgrenzen mehr zu geben. Die Nato will bomben können, wann und wo sie will – und der Rest der Welt soll ihrem Urteilsvermögen vertrauen. Doch niemand ist unfehlbar. Und der kluge Satz des großen britischen Liberalen Lord Acton gilt auch für die Nato: „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.“
Die meisten Länder dieser Welt befinden sich derzeit in einem Zustand zwischen Demokratie und Diktatur – welchen Weg sie gehen werden, hängt vor allem von ihrem Verhältnis zum Westen ab. Und je mehr der Westen an moralischer Glaubwürdigkeit einbüßt, um so besser sind die Chancen der Diktatoren.
Rußland wird sich nicht militärisch in den Kosovo-Krieg einmischen. Doch die antiwestlichen Ressentiments dort wachsen – und damit die Gefahr, daß sich Rußland so wie Serbien und Weißrußland entwickelt. Und das ist eine höchst bedrohliche Aussicht – für Rußlands Nachbarn und für ganz Europa. In Serbien war die Opposition das erste Opfer des Krieges. Die Stärkung der Diktatoren, die Schwächung der Demokraten – das ist der fatale Effekt der neuen Selbstüberhebung der Nato. Ghia Nodia
Übersetzt aus dem Englischen von Stefan Reinecke
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