■ PLO verzichtet vorerst auf die Proklamation des eigenen Staates: Das System Arafat
Das System Arafat funktioniert – noch. Eigentlich galt der 4. Mai dem Palästinenserpräsidenten als „heiliges Datum“. Weil an diesem Tag die in den Osloer Friedensabkommen festgelegte fünfjährige Übergangsphase der palästinensischen Teilautonomie endet, wollte der PLO-Chef an diesem Tag einen eigenen palästinensischen Staat ausrufen – egal wie Israel darauf reagieren würde. Doch inzwischen ist alles anders. Getreu dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern“ inszenierte Arafat den gesichtswahrenden Ausstieg aus der Ankündigung. Am Montag verabschiedete sich das palästinensische Parlament klammheimlich von dem Termin, und beim Zentralrat der PLO dürfte auch nichts anderes herauskommen. Dank der Regie Arafats.
Auf den ersten Blick wirkt der Verzicht auf die Proklamation wie eine Demütigung der Palästinenser, auf den zweiten jedoch nützt sie ihren Interessen. Die einseitige Erklärung keine zwei Wochen vor den israelischen Wahlen wäre willkommene Wahlkampfmunition für Netanjahu. Um sein Wählerpotential bis zum rechten Rand auszureizen, setzt der Noch-Premier auf die nationale Karte. Da sollen palästinensische Büros in Ost-Jerusalem geschlossen werden, und für den Fall der Proklamation eines Staates durch Arafat droht er mit der Annektierung von Teilen des Westjordanlandes. „Einen palästinensischen Staat wird es mit mir nicht geben“, lautet Netanjahus Botschaft an die WählerInnen, und seine bisherige Politik spricht dafür, daß er das auch so meint.
Den Palästinensern bleibt nur die schmale Hoffnung auf einen Regierungswechsel – zur Not auch zu einer großen Koalition. Denn diese hätte immerhin die Legitimation zu weitreichenden Schritten, bis hin zur Anerkennung eines palästinensischen Staates – vorausgesetzt, sie will es auch. Unterstützung für Arafat bietet Bill Clinton. Natürlich ist das Manöver des US-Präsidenten durchsichtig. Wenn es für ihn so einfach wäre, den Palästinensern durch Druck auf Jerusalem innerhalb eines Jahres den Weg zu einem eigenen Staat zu ebnen, warum hat Clinton das nicht längst getan? Auch in Washington weiß man, daß alles davon abhängt, wer nach dem 17. Mai in Israel das Sagen hat. Aber man scheint auch begriffen zu haben, daß die palästinensische Bevölkerung ein Anrecht auf einen eigenen Staat hat. Und sollte ihnen dieses noch lange Zeit verwehrt werden, dann versagt auch irgendwann das System Arafat.
Thomas Dreger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen