: Ein schwacher Präsident mit großen Zielen
■ Seit gestern ist Algeriens neuer Staatschef Abdelaziz Bouteflika offiziell in Amt und Würden. In der politischen Klasse des Landes hat er keine Hausmacht. Aber genau die wird er brauchen, um sich auch durchsetzen zu können
Madrid (taz) – „Präsident aller Algerier“ möchte Abdelaziz Bouteflika sein, der gestern mit einer prunkvollen Zeremonie in sein Amt eingeführt wurde. Ein hehrer Wunsch. Denn keiner seiner sechs Amtsvorgänger war so umstritten wie er.
Den sechs Oppositionkandidaten, die geschlossen die Wahlen am vergangenen 15. April boykottierten, gilt Bouteflika als „illegitim“. Demonstrationen gegen den „Putsch an den Urnen“, wurden mit starkem Polizeiaufgebot verhindert, die letzte am Montag nachmittag in Algier. Selbst im eigenen politischen Lager ist der 61jährige umstritten. Der „Konsenskandidat“ – so Bouteflikas Wahlkampfparole – stützt sich auf die Armee. Und auch dort hat er nicht nur Freunde. Schlechte Vorzeichen für eine Amtszeit, die entscheidend für die Zukunft des krisengeschüttelten Landes ist.
„Bouteflika hat weder die Legitimität noch die Instrumente, um das Land zu verändern“, ist sich Mouloud Hamrouche, einst Premierminister und führender Reformer aus der ehemaligen Einheitspartei FLN, sicher. Zwar wird Bouteflika offiziell von den Parteien der Regierungskoalition, der National-Demokratische Versammlung (RND), der FLN und der gemäßigt islamistischen MSP-Hamas unterstützt. Doch an der Basis der drei Parteien ist der neue Präsident nicht wohlgelitten. Die RND-Führung wurde vor den Wahlen, nach eigenen Angaben wochenlang von der Armee unter Druck gesetzt, damit sie Bouteflika als ihren Kandidaten akzeptiert. Als der Chef der RND – die stärkste Partei des Landes – Tahar Benbaibeche dennoch nicht klein beigeben wollte, wurde er von Bouteflika-Getreuen, unter dem ehemaligen Premier Ahmad Ouyahia weggeputscht. Jetzt droht die RND, die erst vor drei Jahren zur Unterstützung des scheidenden Präsidenten Liamine Zéroual gegründet wurde, zu zerfallen. Der Minderheitsflügel stellte mit Mokdad Sifi einen eigenen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen.
Bei den anderen beiden Koalitionspartnern sieht es nicht viel besser aus. Die beiden Präsidentschaftskandidaten Mouloud Hamrouche und Ahmed Taleb Ibrahimi spalten die Basis der FLN. Hamrouche steht für die Erneuerer, und Taleb Ibrahimi schart die Anhänger arabo-islamischen Gedankengutes um sich. Damit wird er der gemäßigt islamistischen MSP-Hamas gefährlich. Falls Taleb Ibrahimi mit seinem Vorhaben, eine eigene Partei zu gründen, Ernst macht, könnten MSP-Hamas schon bald die Wähler weglaufen. Viele von ihnen folgten vor deren Verbot der Islamischen Heilsfront (FIS). Und die unterstützte bei den Präsidentschaftswahlen Taleb Ibrahimi. Bouteflika weiß um seine Schwäche. „Ich werde weder die Regierung umbilden noch vorgezogene Parlamentswahlen ansetzen“, verkündete er. Vorgezogene Wahlen würden den unausweichlichen politischen Umschichtungsprozeß und vor allem den drohenden Zerfall der RND zusätzlich beschleunigen.
Ein schwacher Präsident für schwierige Aufgaben: Bouteflika will nach sieben Jahren Bürgerkrieg und 120.000 Toten, „die Nation aussöhnen“. Dazu verspricht er eine „juristische Lösung“ für die rund 10.000 Kämpfer des bewaffneten Arms der FIS, die Armee des Islamischen Heils (AIS), die seit Oktober 1997 eine Waffenstilstand einhält, sowie eine Amnestie für Gefangene aus dem islamistischen Lager. Ob ihm das gelingt, hängt von der Haltung der Armeeführung ab. Der Rücktritt von General Mohammad Betchine als Berater des scheidenden Präsident Zéroual und die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen vom 15. April beweisen, daß der Generalstab längst kein homogener Block mehr ist.
Ob der Sieg der Streitkräfte über die bewaffneten Islamisten von Dauer ist, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es in den kommenden fünfjährigen Amtszeit Bouteflikas gelingt, die angespannte soziale Lage zu entschärfen. Nach offiziellen Angaben sind 30 Prozent der Algerier arbeitslos, 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Jede Wohnung wird im Schnitt von 7,4 Menschen belegt. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, will der neue Präsident am Kurs der Liberalisierung und Privatisierung festhalten. 600.000 Arbeiter der staatlichen Industrie verloren dabei in den letzten drei Jahren ihren Job. An der Basis der algerischen Gewerkschaft UGTA machte sich deshalb bereits im Wahlkampf Unmut gegen Bouteflika breit.
Die Führung der UGTA mußte sich auf einer Veranstaltung zugunsten des neuen Staatschefs auspfeifen lassen. Bouteflika gilt vielen Arbeitern in der Staatsindustrie als Kaputtsanierer und „Bazarkapitalist“. Jugendliche in der Hauptstadt werden noch deutlicher. Mit der ihnen eigenen sprachlichen Kreativität haben sie Bouteflika „Bouflibka“ getauft. Bouf ist das französische Wort für essen und libka werden im algerischen Arabisch Reste genannt. Reiner Wandler
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