: Kafka goes Kleinkunst...
■ ...und fällt aufs Maul. Die Bearbeitung von Franz Kafkas „Der Bau“ durch die Shakespeare Company ist ein langer Witz
Alles ist so, wie es ist ,weil es so ist. So dürfte auf Popkulturell eine ontologische Tatsache zu fassen sein. Der Grund, warum in Kafkas Bau der Baumeister den Bau baut, ist ungefähr der gleiche. Eine bloße Setzung. Auf den vierzig Seiten des Erzählfragments finden sich kaum Hinweise auf das Motiv. Es beginnt mit der lapidaren Feststellung: „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohl gelungen.“
Auch Regisseur Sebastian Kautz hat den „Bau“ eingerichtet. Für das Theater. Nur scheint hier wenig „wohlgelungen“. Knapp daneben ist auch vorbei. Ach, wie gerne schrieb man das! Zumal wenn ein Nachwuchstheatermensch am Werke ist. Als hätte man ihm diesen Text aufgezwungen, mißtraut Kautz den Worten. Und das ist noch das Konsequenteste der Inszenierung in der hübschen (und gänzlich undüsteren) Außenspielstätte Schwankhalle.
Auch nach Kürzung langer Passagen bleibt noch ganz schön viel Text übrig. Und weil das ziemlich anstrengend klingt, entschließt man sich, den „Bau“ auf Pointensicherheit und Lachgarantie zu testen. „Freilich manche List ist so fein, daß sie sich selbst umbringt“, heißt es passend dazu gleich zu Beginn. Uta Krause in der Rolle des Baumeisters spricht es aus.
Ob der im Programmheft als Gewährsmann für die Totalverulkung herbeizitierte Milan Kundera besonders glücklich wäre, sei dahingestellt. Der nämlich hatte geschrieben, das Besondere an Kafkas Komik sei, daß sie Tragik im Keim ersticke. Erstickt wird hier vor allem eines: die bedrückende atmosphärische Dichte der Vorlage. Heraus kommt das große Lachen. Autsch!
Aber von vorn. Der Baumeister denkt über das gerade vollendete Werk nach. Erzählt vom unterirdischen Gängesystem, von Jagdgängen inner- und außerhalb. Er teilt uns mit, wie er die Stille liebt, wie er sich zusammenrollt, sich an sich selbst wärmt. Ab und zu legt er sich auf den Boden, fühlt, lauscht. Wie ein Romantiker im Gras in einer Mondnacht. Nur eben unterirdisch. Es ist eine Figur, die genau zu wissen scheint, was sie tut. Und warum. Vergessen ist die Welt da draußen.
Ein ganz undramatischer Monolog, geeignet zum Ein-Personen-Stück. Wenn, ja, wenn Uta Krause nicht alle Shakespearerollen, die sie jemals gespielt hat, zusammennehmen würde. Krause aber unterbricht den Erzählfluß immer wieder durch gnomenhaftes Gekicher. Sie weint, skandiert, singt, keucht, flüstert. Turnt dabei auf einer Art Podest in der Raummitte herum. Und verleiht so der Figur derart viele Persönlichkeiten, daß das Grundproblem des Textes bald verlorengeht. Nämlich (wörtlich!) „das Wunderbare“; die merkwürdig perfekte Sprache der Figur mit kom-plex gebauten Sätzen, gewählten Ausdrücken. Kurz: die Rationalität mitten im Irrsinn. Der Sinn des Planens scheint abhanden gekommen. Wie die Figur sich zum Tier (zurück-)entwickelt, frißt der Verstand sich selbst, indem er zur Angst degeneriert.
Doch in dieser Inszenierung wird alles ausagiert, nichts bleibt geheimnisvoll. „Was könnte nicht alles geschehen“, greint's. Als müßte nur ein wenig Leben in die Bude gebracht werden. Oder es haucht: „Manchmal träume ich, ich hätte umgebaut.“ Als ging's um die Inszenierung des Ikeakatalogs. Denn die existentielle Dimension ist abhanden gekommen. Was hilft's, wenn Uta Krause sich über quälend lange 90 Minuten redlich bemüht. Es gibt eben Material, das die Warnung, doch bitte nicht alle Register zu ziehen, schon in sich trägt.
Das Fragment endet mit den Worten: „Aber alles blieb unverändert.“ Daraus basteln Krause und Kautz eines der wenigen überzeugenden Bilder des Abends. Der Baumeister spricht's, wendet sich zur Seite, greift zur Posaune. Ein paar dunkle Töne, während langsam das Licht verlischt. Wie gesagt, ein schönes Bild. Das aber untergeht zwischen dem Klamauk zuvor und dem anschließenden besinnungslosen Applaus. Ansonsten blieb alles unverändert. Da hielt die Shakespeare Company dem Spaßansatz die Treue. So bleibt Taboris „Hungerkünstler“ von 1977 die beste Kafkabearbeitung der Bremer Theatergeschichte.
Zu Hause nimmt man ein Lexikon zur Hand. 'Kafka, F., steht da, 'großer Prager Komiker der ersten Jahrhunderthälfte.' Voll witzig. Oder wie. Oder was. Ach, egal! Man legt die neue Tom-Waits-Platte auf und hört: What the hell is he building in there? Spitze!
Tim Schomacker
Die nächsten Aufführungen von „Der Bau“: 1., 7., 8., 14., 23. Mai, jeweils um 20 Uhr, in der Schwankhalle, Buntentorsteinweg 112. Kartenvorbestellungen unter Tel.: 500 333
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