: Aldi ist das einzige Ausflugsziel
Seit über zwei Wochen lebt die aus dem Kosovo geflüchtete Familie Krasniqi in einem Wohnheim in Hohenschönhausen. Sie hat, außer zu ihren NachbarInnen auf dem Flur, bisher kaum Kontakt mit der Außenwelt ■ Von Julia Naumann
Auf dem Schrank türmen sich die Wasserflaschen. 20 sind es bestimmt. Und der Kühlschrank quillt auch über, erzählt Elfije Krasniqi etwas gequält. Joghurt, Obst, Gemüse, Brote stapeln sich dort. Es ist viel zuviel. Doch sie hat keine andere Wahl.
Wenn Elfije Krasniqi einkaufen geht, muß sie mit sogenannten Kostenübernahmescheinen, die sie vom Sozialamt Mitte bekommt, bezahlen. Die Scheine sind in 100-Mark-Einheiten eingeteilt, manchmal sind es sogar 150 Mark. An der Supermarktkasse bekommt Elfije Krasniqi, im Gegensatz zu den deutschen EinkäuferInnen ohne Übernahmescheine, kein Wechselgeld zurück. Deshalb ist sie gezwungen, die kompletten Einheiten, also 100 Mark oder 150 Mark, auszugeben – oder Elfije Krasniqi läßt den Rest verfallen.
Daß dieses schikanöse Verfahren vom Bezirk Mitte, wo Elfije Krasniqi aufgrund ihres Geburtsdatums gemeldet ist, politisch gewollt ist, versteht die 45jährige nicht. Genausowenig, daß ihre beiden erwachsenen Töchter, Adelina und Prezarta, die wiederum in Wilmersdorf gemeldet sind, nur Bargeld statt Gutscheinen bekommen. „Es ist gut hier“, läßt sie nur immer wieder von der Dolmetscherin übersetzen, wenn man sie nach ihrer Befindlichkeit befragt.
Seit etwas über zwei Wochen wohnt die sechsköpfige Familie aus Pritina jetzt in einem Flüchtlingswohnheim in Hohenschönhausen. Und das ist für sie eigentlich schon viel zu lange. Denn am liebsten möchte Familie Krasniqi so schnell wie möglich zurückgehen. „Wenn es Ruhe gibt, dann sind wir weg“, sagt Vater Ismet, der in Pritina im Gas-Wasser-Werk gearbeitet hat. Mit diesem Wunsch steht der 48jährige nicht allein. Alle 97 Flüchtlinge, die im Wohnheim lebten, so erzählt er, wollten so schnell wie möglich in das Kosovo zurück. „Alle“, betont Krasniqi. „Aber nur wenn es Frieden gibt“, schiebt seine Frau nach.
Daß der Krieg wahrscheinlich noch einige Zeit dauern wird, können sie nur erahnen. Welche Städte von der Nato jede Nacht bombardiert werden, wie es den Flüchtlingen in den Lagern in Makedonien und Albanien geht – darüber kann sich Familie Krasniqi kein Urteil bilden. Müde seien sie, immer noch sehr erschöpft. Nein, die Exilzeitung Bota Sot lesen sie nicht, sagt die Mutter. Auch telefonisch erfahren sie nichts über den Krieg, über das Schicksal von Freunden und Bekannten, denn die Telefonleitungen funktionieren im Kosovo schon lange nicht mehr. „Wir bekommen gar keine Informationen“, sagt Ismet Krasniqi.
Vielleicht wollen sie nach den Strapazen der Flucht auch erst einmal gar nicht soviel wissen. Sie wurden, so erzählt der Vater, Anfang April von serbischen Soldaten per Zug an die Grenze Makedoniens verfrachtet und hausten dann zwei Wochen in Flüchtlingslagern, wo sie dann schließlich mit 220 anderen Flüchtlingen nach Berlin ausgeflogen wurden. Mehr will er dazu nicht sagen.
Die einzige Kommunikationsquelle im Heim sind die anderen Neuankömmlinge, die auf dem gleichen Flur wie die Krasniqis leben. „Mit denen reden wir ständig“, sagt Mutter Elfije. Sonst ist der Tagesablauf äußerst monoton: Die älteren Schwestern räumen jeden Morgen die Zimmer auf. Die Mutter kocht das Essen in der Gemeinschaftsküche, erzählt der Vater. Und sonst? Wir machen nichts, reden nur ein bißchen mit den Nachbarn, sagen sie.
Außerhalb des weißgestrichenen Flurs mit den vielen Türen bricht die Kommunikation dann völlig ab. Zu den anderen Flüchtlingen – im Heim leben insgesamt 800 Menschen – gibt es, so erzählt Tochter Adelina, keine Kontakte. Nicht zu den Vietnamesen, nicht zu den Bosniern und erstaunlicherweise auch nicht zu den anderen Kosovvo-Albanern, die teilweise schon jahrelang in dem Heim leben und die Neuankömmlinge mit Zigaretten und Süßigkeiten empfangen hatten. „Keiner von denen hat sich danach erkundigt, wie es uns geht“, sagt der Vater und klingt etwas enttäuscht. „Diese Isolation ist ganz normal“, sagt Übersetzerin Dursime Arbaneshi, die seit sieben Jahren im Heim lebt. Anfänglich hätten immer nur sehr wenige Familien untereinander Kontakt. Im Laufe der Monate würde sich das aber ändern.
Der einzige, der aus der Langeweile ausbricht, ist Fisnik, der zwölfjährige Sohn. Er hat im Heim Freunde gefunden, andere Flüchtlingskinder aus Bosnien und dem Kosovo, mit denen er auf dem gepflasterten Hof Fußball spielt. Fisnik ist der einzige, der prompt sagt, daß er sich nicht „so gut im Heim fühlt“. Mit den anderen Kindern hat er schon die Straßen außerhalb des Heimes erkundet.
Der Rest der Familie hat bisher jedoch vor allem eins gesehen: „Aldi“, sagt die Mutter, lacht zum erstenmal herzhaft und zeigt auf die Wasserflaschen auf dem Schrank.
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