: Fotografie und das Leben selbst
Lisa Cholodenkos erster Spielfilm „High Art“ handelt von Liebe, Drogen und Fotos. Der Betrieb ist die Droge, und wer auf Entzug kommt, braucht Ersatz. Die hohe Kunst: draufkommen und oben bleiben ■ Von Axel Henrici
Wer Liebesfilme haßt, darf hier sein Mißtrauen zügeln, und zwar aus leicht nachvollziehbaren Gründen. Denn gezeigt wird eine Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die bereits in Beziehungen leben, welche vielleicht schwierig, aber nicht unglücklich sind (Vermeidung von Klischee eins: Die erloschene Liebe; die Liebe, die nie eine war). Gezeigt wird ferner, wie sich eine Frau, die eigentlich einen Mann liebt, in eine andere Frau verliebt, ohne daß wir identitätspolitisch belästigt werden (Vermeidung von Klischee zwei: Das Coming-Out-Drama). Und weiter wird eine Liebesgeschichte gezeigt, der es gelingt, jede Menge Drogen und abgefuckte Künstler vorkommen zu lassen, ohne daß wir genervt in unseren Kinosesseln hin- und herrutschen müssen (Vermeidung von Klischee drei: La Bohème). Aber der eigentliche Grund, eine Ausnahme zu machen, ist sie, die endlich wieder aus der Versenkung auftaucht: Ally Sheedy („War Games“, „St. Elmo's Fire“). Und sie legt auch gleich eines der schönsten Getroffenheits-Bekenntnisse der jüngeren Filmgeschichte ab.
Freilich geht es in Lisa Cholodenkos erstem Spielfilm „High Art“ zunächst gar nicht um Liebe, sondern um Kunst. Syd (Radha Mitchell) ist jung und – wie man Nochnichtzynikerinnen heute der Einfachheit halber nennt – naiv. Sie ist Volontärin bei einem Fotomagazin und glaubt (idealistisch) an die Kunst, denkt aber dabei durchaus (realistisch) auch an die eigene Karriere. Als es eines Abends von der Wohnung über ihr heruntertropft, klingelt Syd bei den Nachbarn, um nachzuschauen, was da los ist. Die Hölle: Junge Menschen hängen auf Sofas ab, konsumieren harte Drogen und fragen, hallo, wer kommt denn da? Von Hausherrin Lucy (Ally Sheedy) wird Syd ins Badezimmer geführt, wo überall tolle Fotos an der Wand hängen. Hast du die gemacht? Ein verlegenes Nicken. (Niemand nickt so sexy selbstbewußt verlegen wie Ally Sheedy.) Syd kommt ins Schwärmen und zitiert vor lauter Begeisterung Roland Barthes. Als sie bemerkt, wie sie sich vergaloppiert, wo sie doch nur die Badewanne mit Kaugummi abdichten wollte, hält sie ihrerseits verlegen inne. Plapper' ich zuviel? (fragt Syd). Nein, nein, meint Lucy mit einem melancholischen Lächeln und setzt hinzu: „I haven't been deconstructed in a long time.“ So fangen Liebesgeschichten an.
Aber erst einmal tritt Lucys Lebensgefährtin Greta auf den Plan, ehemalige Fassbinder-Schauspielerin und mittlerweile nur noch für Heroin und Lucy zu haben (hinreißend dauerhigh: Patricia Clarkson): „I'm Greta. I live for Lucy. I mean, I live here with Lucy.“ Das ist eine Kampfansage. Sie hat Gewicht, weil Cholodenko eine Abhängige zeigt, die ihre Würde bewahrt und ein schöner, herausfordernder Mensch geblieben ist. Doch Syd hat Feuer gefangen. Sowohl beruflich als auch privat. Sie möchte Lucy, die, wie sich herausstellt, in den achtziger Jahren eine bekannte Fotografin war und nun schon seit über zehn Jahren bewußt nichts mehr veröffentlicht, zu einer Geschichte für ihr Magazin Frame bewegen.
Als die Zeitschriftenredakteurin Lucy dann fragt, wie sie ihre Bilder inszeniere, reagiert diese verständnislos. Das Leben selbst ist ihr Inszenierungsmaterial. Wie Wolfgang Tillmans (oder John Waters' Pecker) ist sie selbst Teil der Szene, die sie fotografiert. Doch auch solche privaten, „authentischen“ Bilder entkommen dem Verwertungsprozeß nicht. Ganz nebenbei zeigt Cholodenko, daß es letztlich fast egal ist, ob sich ein Helmut Newton hinstellt und sagt, er mache von vornherein „korrupte“ Bilder, oder ob eine Nan Goldin beteuert, sie fotografiere nur Leute, die sie mag. Der Verwertungslogik kann sich niemand entziehen. Was zunächst Öffentlichmachen des unverstellt Privaten ist, wird unvermeidlich zur Ware. Das muß zum Schluß auch Syd erkennen, als sie vor Lucys liebende Linse gerät und unvermittelt auf dem Titelbild von Frame landet. Eine sehr persönliche Dokumentation eines Liebeswochenendes wird nun vor aller Augen ausgebreitet – und gleichzeitig zum Nachruf auf eine Liebe, die zwischen den Worten „high“ und „art“ zerbricht.
Doch in „High Art“ geht es nicht nur um Liebe, Drogen und Kunst, sondern auch um den Blick an und für sich, in dem nicht nur jede Fotografie ihren Ausgangspunkt hat, sondern auch unser alltägliches Leben sich vollzieht. Wenn Syd am Anfang des Films die Redaktion betritt, folgen ihr die Blicke des jungen Mädchens am Empfang, das sie zuvor unschuldig-hinterhältig gefragt hat, was sie denn habe tun müssen, um an das Volontariat heranzukommen. Verständlich wird diese Szene gegen Schluß des Films, als wir bereits wissen, daß sich Syds Vorgesetzte Dominique von der Position am Empfang bis zur Redakteurin hochgearbeitet hat. Nach ihrer ersten großen Titelgeschichte kommt Syd völlig am Boden zerstört in die Redaktion und spürt wieder die neidisch-bewundernden Blicke der Praktikantin im Nacken. Gerade selbst auf dem Titel der neuen Ausgabe abgebildet, weiß sie, daß sie dem Bild nicht entkommen kann, das sich die Praktikantin von ihr gemacht hat. Und ihr wird bewußt, daß der Wunsch, Lucy Berliner wieder aus der Versenkung zu holen, kein gänzlich unschuldiger war. Kunst, Drogen, Kunstbetrieb: der Betrieb ist die Droge. Wer auf Entzug ist, braucht Ersatz. Die hohe Kunst ist: draufkommen und oben bleiben.
„High Art“. Buch und Regie: Lisa Cholodenko. Mit Ally Sheedy, Radha Mitchell u.a. USA 1998, 101 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen