: Todeszellen und Rauchverbote
■ Mit „Ein wahres Verbrechen“ gelingt es Clint Eastwood, den Skandal der Todesstrafe als Unterhaltungsspektakel zu verkaufen. Sein Thriller setzt auf die Politik der Darstellung
Ein Film der ungerechten Tode. Gleich zu Beginn stirbt eine junge Frau, und gegen Ende glaubt man, einen Mann sterben zu sehen. Doch ihn rettet, was ihr zum tödlichen Verhängnis wurde: eine riskante nächtliche Autofahrt. Bevor sie in den Tod raste, hatte man sie noch in einer Bar gesehen. Mit einem alten Kerl, einem Kollegen von der Zeitung, kippte sie da einen Drink. Dieser alte Kerl ist es nun, den Frank Beachum (Isaiah Washington) an ihrer Stelle in seiner Todeszelle empfängt. Und wie sich dabei herausstellt, könnte er womöglich Beachums letzte Chance sein.
Dieser Reporter ist kein guter Mann, der einem keinesfalls schlechten Mann das Leben retten wird. Das zeigt schon die erste Szene, in der er sich sabbernd, lüstern, senil an die 30 Jahre jüngere Kollegin ranzumachen versucht. Um also zu verstehen, was für ein Charakter Steve Everett ist, bedarf es nicht des Autostunts am Schluß, der den Dirty Harry in Clint Eastwood herbeizitiert. Die Fahrt dient dem dramatischen Ende, als Everett zu spät kommt und ein Unschuldiger in der Gaskammer von San Quentin stirbt. Besser, das Rennen gegen die Uhr ist notwendig, damit sich dieses Ende nicht bewahrheitet. Die Zuschauer haben Platz genommen, der Delinquent ist in die gläserne Todeskammer gebracht und festgeschnallt worden, das Beruhigungsmittel in seine Venen geflossen. Jetzt tropft das Gift, das die Körpermuskulatur und damit auch die Atmung lähmt, in die Kanüle in seinem Arm. Doch da läutet das Telefon des Gouverneurs. Die Aktion wird abgebrochen, der Reporter ist rechtzeitig gekommen.
Dies ist das Hollywood-Happy-End, das dem Ende, von dem „Ein wahres Verbrechen“ erzählen will, hinterhergeschaltet ist. Eine Konzession an das Kinopublikum, das siegreiche Helden liebt und die beste aller Welten in der Welt des Films existent weiß. Erstaunlicherweise beschädigt dieses zweite Ende den Film nicht; es ist nur konsequent. Denn „Ein wahres Verbrechen“ schafft es, den Skandal der Todesstrafe als Unterhaltungsspektakel zu verkaufen. Statt auf die Darstellung der Politik setzt „True Crime“ auf die Politik der Darstellung; auf einen Thriller, der das Problem der Todesstrafe mit keinem Wort der Diskussion wert erachtet – und der dennoch den Finger in die Wunde stößt. Denn Frank Beachum ist der schwarze Mann, den es am amerikanischen Tatort sprichwörtlich immer zuerst zu suchen gilt.
Beachum soll die Kassiererin eines Drugstores ermordet haben. Bewundernswert differenziert stellt Isaiah Washington die verzweifelte Gefaßtheit dieses Mannes dar – angesichts der Ungeheuerlichkeit, unschuldig in der Todeskammer zu enden. Steve Everett stinkt das, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn er hat eine feine Nase. Kaum bereitete er sich auf das Interview mit dem Todeskandidaten vor, wird ihm klar, daß ein Zeuge mehr sah, als er sehen konnte. Und während sich seine Recherchen mit dieser Entdeckung immer stärker ausweiten und sein Tagesablauf sich dramatisch beschleunigt, macht uns die Kamera in grausamer Ausführlichkeit mit Frank Beachum am Tag seiner Hinrichtung bekannt. Wir lernen seinen Wärter kennen, der nicht ohne Sympathie und Mitleid für seinen Gefangenen ist; und mit der Gewissenhaftigkeit, mit der er Beachums Akte führt, sehen wir Punkt 15 Uhr dessen Frau und Tochter in der Zelle eintreffen. Ob unschuldig oder schuldig, angesichts dieser Bilder wünscht man niemandem so einen letzten Tag.
Der rasende Reporter als Marlowe-Referenz
„Ein wahres Verbrechen“ besticht durch Raffinesse. Etwa, wie Steve Everett dahin kommt, Frank Beachums Unschuld zu beweisen: Immerhin muß ihm seine Frau den Ehering vor die Füße werfen, damit es bei ihm klingelt. Everett ist der Mann, der den Schaden stets schon angerichtet hat, wenn das Gute dahinter zum Vorschein kommt. Nach diesem Muster funktioniert auch „Ein wahres Verbrechen“, agiert dessen Regisseur und Hauptdarsteller Clint Eastwood. Denn schaut man sich den Plot an, dann ist er simpel – und doch kann Eastwood gegen die Folie der üblichen Kriminalgeschichte die staatliche Hinrichtung in all ihrem Grauen erst richtig aufzeichnen. Betrachtet man die Figur des alten Zeitungsmannes, dann ist sie ein Klischee aus glorreichen Filmtagen. Freilich eines, das Eastwood mit grandiosem Mutwillen als gealterte Größe zelebriert, als schäbige Alltagsversion jenes Polizeiinspektors Harry Callahan, mit dem er als Dirty Harry zum Filmklassiker wurde. Der alte Kerl kann noch immer nicht von den Frauen lassen, von Alkohol und Nikotin ganz zu schweigen. Und weil ihn allein dafür, daß er Rauchverbote prinzipiell ignoriert, jeder amerikanische Kinogänger sofort verhaften ließe, wird klar, daß Eastwood sein Publikum tatsächlich brüskieren will.
Freilich, und das weiß Eastwood, gegen Klischees läßt sich schlecht argumentieren. Die beste aller Welten ist eben die des Films. Wer Philip Marlowes verwundete Moralität schätzt, seinen Whiskeykonsum und seine immer niedrigeren Tagessätze, der kann Steve Everett nicht ignorieren. Der muß sich gefallen lassen, daß Everett seine Reporternase zu seinem Gott erklärt und den tiefgläubigen Todeskandidaten anfaucht, Jesus sei ihm so was von egal. Damit geht nun Eastwood tatsächlich über das Klischee hinaus. Nicht nur in seiner Figur, sondern auch in der zwar kleinen, aber bedeutsamen Nebenrolle des mitleidlosen, verlogenen Gefängniskaplans wird die Darstellung zu Politik. Clint Eastwood scheint ein Anliegen zu haben. Brigitte Werneburg ‚/B‘„Ein wahres Verbrechen“. Regie: Clint Eastwood. Mit Clint Eastwood, James Wood, Isaiah Washington, Lisa Gay Hamilton u. a. USA 1999, 127 Min.
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