piwik no script img

Ministerin auf Beglückungstour

■ Jugendliche sollen zu Multmediaprofis ausgebildet werden. Familienministerin Bergmann macht Mut, die Betroffenen sind skeptisch

Berlin (taz) –So sieht sie also aus, die Jugend, von der Bundesfamilienministerin Christine Bergmann sagt, daß sich die Arbeitsmarktpolitik künftig nicht mehr um sie kümmern müsse: etwas schüchtern Anne Gregori, ein wenig skeptisch Mario Dräger. Die beiden Berliner gehören zu den 22 Jugendlichen, die sich binnen eines Jahres von Arbeitslosen zu Multimediaprofis wandeln sollen. Bei der Präsentation des bundesweit einmaligen Modellprojekts „cornucopia“ wirkten sie dann doch ein bißchen verschreckt. Eine strahlende Ministerin hingegen verprach den 22 Berlinern beste Zukunftsaussichten. Der Multimediabereich sucht Nachwuchs, und „cornucopia“ qualifiziert arbeitslose Jugendliche genau dafür. Sie sollen lernen, Internet-Seiten für Firmen und Institutionen zu konzipieren und herzustellen. Drei Tage in der Woche sollen sie an Aufträgen in lokalen Multimedia-Unternehmen tüfteln, an zwei Tage werden sie in neuesten Software-Programmen geschult. Konfliktmanagement und Entspannungsübungen gehören ebenfalls zur Ausbildung. Die Jugendlichen, die unter 80 Bewerbern ausgewählt wurden, sollen nach einem Jahr ein Zertifikat der Industrie- und Handelskammern erhalten und dann schnell Arbeit finden. Mehr als 25 Partner der Wirtschaft und der öffentlichen Hand wurden in das Projekt integriert, „cornucopia“ wird von der Europäischen Union, dem Berliner Senat und dem Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg gefördert. Zwanzig Computer spendierte IBM. Mehr als eine Million Mark stecken in dem Projekt. Doch noch bleibt die Begeisterung über „cornucopia“ etwas einseitig. Während die Initiatoren am Tag der offenen Tür vor allem sich selbst feierten, blieb der Optimismus der 22 Jugendlichen verhalten. Zwar sehen wie Anne Gregori die meisten das Projekt als „einmalige Chance“, doch Geld gibt es im Moment nur vom Arbeitsamt. Das zahlt etwa dem gelernten Schilder- und Reklamehersteller Mario Dräger nur 900 Mark im Monat. Ministerin Bergmann hofft, daß von dem Modellprojekt in Berlin „ein Schneeballeffekt“ ausgehen wird. Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verweist sie jedoch lieber auf das Sofortprogramm der Bundesregierung. 100.000 arbeitslose Jugendliche sollen damit aufgefangen werden. Auch Erwin Staudt, Vorsitzender der IBM-Geschaftsführung und Mitinitiator von „cornucopia“, versteht das Projekt eher als „Mutmacher“, der zum Nachmachen animieren könne. Viel Vorschußlorbeer wurde bei der Präsentation verteilt. Mario Dräger ist nach mehr als einem Jahr Arbeitslosigkeit vorsichtig geworden: „Erst wenn ich ein Gehalt bekomme und auf der Abrechnung stehen 2.500 brutto, werde ich mich nicht mehr arbeitslos fühlen“. Yvonne Wieden

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen