: Privatisierung verdreifacht die Miete
Nachdem die Wohnungsbaugesellschaft Mitte 53 Häuser verkauft hat, flüchten viele Mieter. Neue Besitzer verlangen Mietsteigerung von 5 Mark pro Quadratmeter oder mehr. Grüne: WBM-Chefs ablösen ■ Von Christof Schaffelder
Keine Bereitschaft, sich mit den Opfern ihrer Privatisierungspolitik auseinanderzusetzen, zeigt die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Mit harschen Worten lehnte deren Geschäftsführer Falk Jesch die Teilnahme an einer Mieterversammlung ab, die das Bündnis Mitte in der Bezirksverordnetenversammlung initiiert hatte. Das Bündnis habe sich, so Jesch in seiner Absage, als ernst zu nehmender Gesprächspartner disqualifiziert.
Rund 100 betroffene Mieter waren jedoch der Einladung gefolgt und versammelten sich am Donnerstag im Rathaus Mitte. Dort präsentierte der Fraktionsvorsitzende des Bündnis Mitte, Frank Bertermann, die Ergebnisse einer Fragebogenaktion in den betroffenen Häusern. Insgesamt 53 Altbaugrundstücke wurden im Verlauf des Jahres 1998 von der WBM zum Verkehrswert an private Investoren zur Umwandlung in Eigentumswohnungen veräußert, ohne daß die Mieter von dem Verkauf informiert oder gar nach einem eigenen Kaufinteresse gefragt worden waren.
Aus 34 Häusern erhielt die Fraktion einen Rücklauf. „Die Ergebnisse zeigen, daß unsere Befürchtungen gerechtfertigt waren“, so Bertermann. Die Mieter seien mit teilweise exorbitanten Mieterhöhungsankündigungen konfrontiert und über Mieterschutzklauseln nicht oder verspätet informiert worden. Selbst dort, wo die Mieter schon seit Jahren ein eigenes Kaufinteresse anmeldeten, wie etwa in der Ziegelstra- ße 29, sei dies von der WBM ignoriert worden, so Bertermann.
So liegt die angekündigte Modernisierungsumlage in 62 Prozent der Häuser über 5 Mark pro Quadratmeter, bei einem Drittel sogar über 7 Mark. In einem Fall (Hannoversche Straße 17, Investor: G & R) soll die Miete sogar von ursprünglich 5,93 auf 16 Mark nettokalt steigen.
Das widerspricht einer Klausel, die die WBM nach einem Aufsichtsratsbeschluß in die Kaufverträge aufnehmen muß. In den ersten fünf Jahren nach dem Verkauf sind Luxusmodernisierungen ausgeschlossen. Die betroffenen Mieter erfuhren von dieser Klausel zunächst jedoch nichts. Eine Vielzahl der betroffenen Mieter sei daher, so Bertermann, bereits ausgezogen, einige Häuser stünden inzwischen fast völlig leer.
Die Käufer der WBM-Häuser waren in keinem Fall Mieter oder Gewerbemieter des jeweiligen Objektes, obwohl das Abgeordnetenhaus deren Vorrang beschlossen hat. Fünf der von der Fragebogenaktion erfaßten Grundstücke gingen an die „G & R Grundstücksentwicklung“ von Franz-Josef Glotzbach, der von der WBM auch das Haus Am Zirkus 2-3/Reinhardtstr. 15-17 für rund 1.000 Mark pro Quadratmeter erstanden hatte. Hier wurden die umgewandelten Eigentumswohnungen bereits für rund 7.000 Mark pro Quadratmeter verkauft.
Aufgrund der Ergebnisse der Fragebogenaktion fordert Bündnis Mitte die Ablösung der Geschäftsführung der WBM. Ihre Fraktion erwäge die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, sagte die baupolitische Sprecherin Barbara Oesterheld (Bündnisgrüne). „Die Privatisierung ist zwar in der ganzen Stadt problematisch, aber die Kaltschnäuzigkeit, mit der die WBM und ihre Tochterfirma gegen die Mieter handeln, ist schon einzigartig.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen