: Ein blutiger 1. Mai in Serbien
■ Diesmal trafen die Nato-Bomben einen vollbesetzten Autobus. Mindestens 40 Flüchtlinge sollen nach jugoslawischen Angaben getötet worden sein
Der Autobus des zivilen Verkehrsunternehmens „Ni-Express“ fuhr am 1. Mai um 9.50 Uhr nach Pritina ab. Bis zum letzten Platz war das Fahrzeug besetzt, vor allem mit Flüchtlingen aus dem Kosovo. Um 12.35 Uhr auf der Brücke im Ort Luzani, 20 Kilometer nördlich von Pritina, passierte es: Eine Rakete traf den Autobus und zweiteilte ihn buchstäblich. Die eine Hälfte blieb auf der zerstörten Brücke liegen, die andere fiel in den Fluß. Kurz darauf startete die Nato einen neuen Luftangriff. Diesmal zerstörte sie einen Ambulanzwagen, der zum Unglücksort eilte. Ein Arzt erlitt schwere Kopfverletzungen.
Verkohlte Leichen und Körperteile bedeckten den ganzen Schauplatz. Mindestens 40 Menschen, darunter Kinder und Frauen, wurden nach jugoslawischen Angaben in dem Bus getötet. Entrüstet bezeichnete das serbische Staatsfernsehen den Fehltreffer der Nato als ein „nazistisches Massaker“, ein „bestialisches Verbrechen gegen die Menschheit“. Und das ausgerechnet an dem Tag, an dem der amerikanische Bürgerrechtler Jesse Jackson in Belgrad die Freilassung der drei gefangenen US-Soldaten vermitteln konnte.
Ebenfalls am Samstag feuerte die Nato etwa ein Dutzend Raketen auf das montenegrinische Städtchen Murina ab. Das Ziel war die Brücke über den Fluß Lim. Fünf Menschen wurden getötet, acht schwer verletzt. Laut der unabhängigen serbischen Nachrichtenagentur Beta hätten beim Luftangriff der Nato auf einen Vorort von Prizren im Kosovo mindestens fünf Zivilisten das Leben verloren, 23 sind schwer verletzt worden.
Es wa ein blutiger 1. Mai in Serbien. Seit dem Beginn des Krieges am 24. März hat die Nato nicht so viele Fehltreffer gelandet. Die schwersten Mißgriffe der Nato waren bisher das Bombardement einer Flüchtlingskolonne im Kosovo, mehrere Dutzend Menschen wurden dabei getötet.
Am Freitag gegen zwei Uhr zerstörte die Nato den Generalstab im Zentrum Belgrads. Mehrere Zivilisten, die sich zufällig auf der Straße befanden, wurden getötet. Die „Nemanjina Straße“ wurde verwüstet. Steinbocken flogen mehrere hundert Meter weit. Straßenbahnschienen wurden zerstört. Beim gleichen Angriff wurden dann zwei mehrere Kilometer vom Generalstab entfernte zivile Häuser, ein Restaurant und eine Videothek vollkommen zerstört. In dem Wohnviertel gibt es weit und breit kein militärisches Ziel. Es waren die bisher schlimmsten Kriegsbilder in der jugoslawischen Hauptstadt. Autos lagen verwüstet auf der Straße, ein Wasserrohr wurde dermaßen demoliert, daß in der breiten Straße „Juzni Bulevar“ ein starker Wasserstrom Pflastersteine und Verkehrsschilder mit sich riß.
Was die Nato versprochen hat, hat sie auch erfüllt: Die Luftangriffe wurden intensiviert, niemand kann sich mehr vor dem Krieg sicher fühlen, selbst wenn man sich weit von militärischen Objekten fernhält, die Bevölkerung bangt um ihr Leben.
Andrej Ivanji, Belgrad
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