piwik no script img

Ein bißchen Unabhängigkeit

Im ersten walisischen Regionalwahlkampf liegen Labour und die Nationalisten vorne. Val Feld kandidiert in Swanseas traditionellem Arbeiterviertel Halfod  ■ Aus Swansea Ralf Sotscheck

Der Wahlkampf fängt an diesem Abend nicht gut an für Val Feld: Als sie ihre Broschüre durch den Briefschlitz geworfen hat, hört man, wie ein Hund sich über das Papier hermacht und es zerfetzt. Im Nachbarhaus wohnt ein indischer Immigrant, der von den bevorstehenden Wahlen noch nichts gehört hat. Erst im dritten Haus hat Val Feld, die mit vollem Namen Valerie Anne Feld heißt, mehr Glück. Ein freundlicher, nicht mehr ganz junger Mann nimmt ihre Wahlbroschüre und versichert ihr, daß er sein ganzes Leben lang Labour gewählt habe und es auch am kommenden Donnerstag zu tun gedenke.

Felds Wahlkreis in Swansea, der zweitgrößten walisischen Stadt, ist eine Labour-Hochburg, und eigentlich ist ihr der Sitz sicher in der ersten walisischen Versammlung, die am Donnerstag gewählt wird. „Das ist aber auch eine Gefahr“, sagt sie, „denn das macht die Leute apathisch. Labour hat sich hier nie um Nachwuchs gekümmert, meine Wahlhelfer sind alles alte Männer, die anfangs gar nicht verstanden haben, warum wir überhaupt Wahlkampf machen sollen. Es war wie bei einem alten Traktor, den man aus der Garage holt, putzt und ölt und dann anschiebt. Aber läuft er erst mal, dann ist er kaum noch aufzuhalten.“

Feld, Mitte vierzig, stammt aus Nordwales, aus Snowdonia. Als die letzten Schiefersteinbrüche vor zwanzig Jahren schlossen, gab es kaum noch Arbeit in der Region, ihre Familie ging nach Swansea. Jetzt ist sie ein bißchen rundlich, ihre Haare hat sie blond gefärbt. Einmal wollte sie ins Unterhaus, aber ihre Partei schickte lieber einen Mann ins Rennen. „Nur vier walisische Frauen hatten es jemals geschafft, Unterhausabgeordnete zu werden“, sagt sie. „1997 wurden dann vier weitere Frauen gewählt.“ Für die Wahlen zur walisischen Versammlung hat die Labour Party genauso viele Frauen wie Männer aufgestellt. „Es war ein Schock für die Männer in der Partei“, lacht sie, „denn viele hatten selbst Ambitionen.“

Schwarze oder asiatische Kandidaten gibt es dagegen nicht, weder bei Labour noch bei den anderen Parteien. Simon Woolley von der Organisation „Operation Black Vote“, die gegen die Diskriminierung von Schwarzen in den Parteien kämpft, sagt: „In keiner anderen Gegend Großbritanniens haben die rassistischen Übergriffe in den neunziger Jahren stärker zugenommen als in Südwales. Wir wollen in die Parlamente und die Rathäuser, um die Entscheidungen für unsere Leute selbst treffen zu können – in Großbritannien, in London und in Edinburgh, in Cardiff und in Swansea.“

Der Dichter Dylan Thomas, den der US-amerikanische Sänger Robert Zimmermann so sehr bewunderte, daß er sich in Bob Dylan umbenannte, schrieb über seine Heimatstadt: „Ich wurde zu Beginn des Ersten Weltkrieges in einer großen walisischen Industriestadt geboren: eine häßliche, liebenswerte Stadt.“ Das gilt auch heute noch.

Auf walisisch heißt sie Abertawe, die Mündung des Tawe, ein Fluß, der jahrhundertelang als Abwasserkanal für die metallverarbeitende Industrie diente und sich davon nur langsam erholt. Zuerst kamen die Kupferschmieden, dann folgten andere metallverarbeitende Branchen. Swansea war im vorigen Jahrhundert eins der Metallzentren der Welt und zog viele Immigranten an. 1918 wurde die erste Ölraffinerie Britanniens in Swansea gebaut.

„Diese Küstenstadt war meine Welt“, schrieb Dylan Thomas, dem man in Swansea ein Denkmal, ein Thater und ein Museum gebaut hat. „Außerhalb ging ein fremdartiges Wales mit seinen Kohleschächten, Bergen, Flüssen und, soweit ich wußte, Chören und Schafen und Hüten wie aus Bilderbüchern seinen Geschäften nach, die nichts mit mir zu tun hatten; hinter diesem unbekannten Wales lag England, und das war London, sowie ein Land, das ,die Front' hieß, von dem viele unserer Nachbarn nie zurückkehrten.“

Swansea erging es im Krieg besonders schlecht. In drei Nächten im Jahr 1941 warf die deutsche Luftwaffe mehr als 30.000 Bomben über Swansea ab, von der Innenstadt blieb nichts übrig. Nach dem Wiederaufbau war es eine seelenlose Betonstadt mit Hochhäusern und Fabrikgebäuden, die sich an den steilen Straßen von der Küste die Berge hinaufziehen.

Halfod liegt im Norden der Stadt, es ist ein Viertel mit kleinen Reihenhäusern, die vor hundert Jahren von der Familie Vivian erbaut wurden. Die Vivians hatten ihr Geld mit Kupfer gemacht, in den Häusern brachten sie ihre Arbeiter unter. Val Feld hat sich einen knöchellangen braunen Mantel angezogen und geht von Tür zu Tür. Es ist ein Heimspiel: Wenn Halfod für Labour verlorenginge, dann würden die Fernsehsender ihre Programme unterbrechen, sagt einer ihrer Wahlhelfer.

Kritik gibt es dennoch. „Warum kommt die Versammlung nicht nach Swansea“, fragt eine alte Frau im schwarzweiß karierten Rock und feiner weißer Rüschenbluse, „sondern nach Cardiff? Das ärgert die Leute hier.“ Zwischen Cardiff, der Hauptstadt, und Swansea hat es schon immer eine Rivalität gegeben. „Die Ortswahl ist der beunruhigendste Aspekt der neuen Versammlung“, sagt John Lovering, Professor für Stadtplanung an der Universität Cardiff. „Sie tritt in einem Gebäude zusammen, das von dem Lieblingsarchitekten des Weltkapitalismus der neunziger Jahren gebaut wurde, und das in einem Landesteil, der schon immer bevorzugt behandelt wurde.“

Val Feld rechnet landesweit nur mit einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent. Viele sehen die neue Versammlung als „Schwatzbude“, wie eine Halfoderin abschätzig meint. Anders als in Schottland, wo sie am Donnerstag ein Parlament wählen, kann die walisische Versammlung keine Steuern erheben oder Gesetze verabschieden. Sie kann die walisische Kultur fördern, sie kann in walisischer Sprache tagen, und wenn es um walisische Belange geht bei Gesundheit, Umwelt, Transport, Fischerei und Bildung, kann sie auch Entscheidungen treffen, wenn die Londoner Regierung das zuläßt.

Warum werden Schottland und Wales so unterschiedlich behandelt? „Weil in Schottland die Nationalisten viel stärker sind als in Wales“, sagt Val Feld. „Die Scottish National Party, die SNP, ist Labour dicht auf den Fersen, aber Plaid Cymru, die walisische nationalistische Partei, hat vor allem in den Tälern und im Nordwesten, wo hauptsächlich Walisisch gesprochen wird, ihre Anhänger. Wales ist eine Ansammlung von Gemeinden, manche sprechen englisch, andere walisisch, manche sind industrialisiert, manche ländlich, aber alle haben eine gemeinsame Identität. Doch die Menschen sind ihrer Gemeinde stärker verbunden als dem Land, das Nationalgefühl ist eher schwach. Die meisten wissen, daß ein unabhängiges Wales nicht überleben kann.“

1979, als die Waliser zum ersten Mal abstimmen durften, ob sie mehr Autonomie wollten, waren nur zehn Prozent dafür. Im vorigen Jahr ging der Vorschlag knapp durch, in Schottland fiel das Ergebnis hingegen deutlich aus. Dennoch sieht David Lloyd, den seine Freunde Dai nennen, die walisische Versammlung nur als Zwischenschritt zur Unabhängigkeit. Er kandidiert für Plaid Cymru in Swansea West.

„Wenn die Union mit England gut für uns wäre, würde ich sagen: Großartig, so soll es bleiben“, meint er, und seine Stimme ist voller Zynismus. „Aber Wales ist die ärmste Region im Vereinigten Königreich, die Löhne betragen nur 83 Prozent des Landesdurchschnitts, mehr als 13 Prozent der Häuser sind eigentlich unbewohnbar, und deshalb ist der Gesundheitszustand der Waliser schlechter als im Rest des Königreiches.“

Lloyd, 42, ist gesundheitspolitischer Sprecher seiner Partei, seit 15 Jahren ist er Arzt in Swansea. „In der Unionsakte von 1536, als Wales mit England vereinigt wurde, wurden walisische Sprache und Kultur verboten. Offiziell ist das Gesetz bis heute nicht aufgehoben.“ Lloyd wünscht sich, daß die Versammlung erfolgreich ist: „Sonst nimmt man sie uns womöglich wieder weg.“

Er setzt für seine Partei auf die Zweitstimmen – 40 Kandidaten werden direkt gewählt, die übrigen 20 nach einer Wahlliste. „Viele Labour-Wähler werden uns ihre Zweitstimme geben, weil sie über die Ernennung des walisischen Labour-Chefs empört sind“, hofft er. Die Labour-Mitglieder hatten mit deutlicher Mehrheit Rhodri Morgan gewählt, doch mit Hilfe der Gewerkschaften setzte sich Tony Blairs Kandidat Alun Michael durch.

Blair und New Labour sind nicht gern gesehen in Wales, und in Schottland auch nicht. So halten sich die Londoner fern, um das Bemühen der walisischen Labour-Partei um eine eigene walisische Identität nicht zu torpedieren. Auch in Schottland ist Labour froh, wenn sich die Londoner Parteichefs nicht blicken lassen, denn man gibt sich links, weil die Schotten, anders als die Engländer, gerne links wählen.

Die SNP sei stärker als Plaid Cymru, glaubt Lloyd, weil es den Schotten etwas besser gehe als den Walisern. „Hinzu kommt die Sprachbarriere“, sagt er. „In Schottland gibt es nur 76.000 Gälisch-Sprecher, aber in Wales sprechen 500.000 Menschen Walisisch, und das bei knapp drei Millionen Einwohnern. Viele, die kein Walisisch können, befürchten, daß sie in einem unabhängigen Wales Bürger zweiter Klasse wären, dabei sprechen 55 Prozent unserer eigenen Mitglieder gar kein Walisisch.“

Die anderen Parteien haben Angst vor dem nationalistischen Zwerg. Plaid Cymru hatte 1970 mit gut elf Prozent sein bisher bestes Wahlergebnis erzielt, lag seitdem jedoch stets hinter den drei großen Parteien. Aber bei einer walisischen Wahl gelten andere Gesetze. Laut Umfragen liegt Plaid Cymru aufgrund der neuartigen Listenwahl an zweiter Stelle hinter Labour. Die Sozialdemokraten haben sich denn auch auf die Nationalisten eingeschossen. Sechs Milliarden Pfund würde die Unabhängigkeit kosten, warnt Labour. Doch diese steht gar nicht zur Debatte.

„Langfristig wollen allerdings wir ein unabhängiges Wales in Europa, denn schlimmer kann es nicht werden“, sagt Lloyd. „Die Armut hat in Wales nichts mit der Klasse zu tun, sie ist ein keltisches Phänomen: Die Iren, Schotten und Waliser sind von London immer marginalisiert worden.“

Wenn Halfod für Labour verlorenginge, dann würden die Fernsehsender ihre Programme unterbrechen.

Sechs Milliarden Pfund würde die Unabhängigkeit kosten, warnt Labour. Doch das steht gar nicht zur Debatte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen