: ÜbermaxX mit Metamuseum
Jenseits der Objekte: Auf einem internationalen Symposium in Bremen wurden „Artefakt und Öffentlichkeit – Museum, Movie, Multimedia“ diskutiert ■ Von Wilfried Hippen
In Bremen steht ein ÜbermaxX: kein gigantisches Multiplex mit noch mehr Sälen und noch mehr Popcorn, sondern die Kombination von Museum und Kino. Das Überseemuseum hat hier sein Magazin gelagert: 25.000 völkerkundliche Gegenstände, unzählige konservierte Tiere und Pflanzen hinter Vitrinen und in Schubladen. Sie können in einer Schausammlung Wand an Wand mit dem Großkino besichtigt werden.
Zu dieser Hausgemeinschaft kam es eher zufällig: Das Museum hatte in Nähe des Hauptbahnhofs ein Grundstück, auf dem sein marodes und mit Insektiziden verseuchtes Magazingebäude stand. Der Standort schien für ein CinemaxX ideal, und so suchte die Museumsleiterin Viola König das Gespräch mit Mr. CinemaxX, Hans-Joachim Flebbe. Und so steht da nun dieser merkwürdige Mischbau, in dem man den neuen Clint-Eastwood-Film oder 700 Paar historische Schuhe aus Asien sehen kann.
Um die räumliche Vermischung von Kino und Museum theoretisch zu unterfüttern, veranstaltete das Überseemuseum anläßlich der Eröffnung ein internationales Symposium zum Thema „Artefakt und Öffentlichkeit – Museum, Movie, Multimedia“. Drei Tage lang versuchten hier Museumsarchitekten, Special-Effect-Spezialisten, CD-ROM-Designer, Medientheoretiker und andere Fachleute, die Herausforderung an die Museen durch die neuen Medien zu bestimmen.
Den radikalsten Neuentwurf stellt das „Metamuseum“ dar: Unter dem Motto „Museen aller Länder, vereinigt Euch!“ wird von einem virtuellen Online-Museum geträumt, in dem alle Museen durch Websites vertreten sind. Das alte Konzept des Museums als ein mit Objekten gefülltes Gebäude würde damit obsolet werden. Der Mitorganisator des Symposiums, Martin Emele, erklärte denn auch keck, er glaube nicht mehr an die Objekte. Die vorgestellten Alternativen waren allerdings recht mager: In den virtuellen Räumen einer CD-ROM über das antike Rom sahen die Paläste und Straßen zwar schön bunt und sauber aus, aber auch recht öde und synthetisch. Und wer will schon die 1.500 Objekte der Website des Louvre auf seinem kleinen Computer sehen und noch dazu sechs Franc bezahlen? Wenn die Museen sich auf diesen Wettlauf um die neueste Technik einlassen, werden sie das Nachsehen haben, meint der Medientheoretiker Florian Roetzer. Denn der technische Aufwand werde schnell dazu führen, daß die Museen nicht mehr mithalten können.
Roetzer warnte davor, daß die Museen immer mehr wie Disney-Land wirken, und diese Tendenz war tatsächlich das eigentliche Thema dieses Symposiums. Schöne, bedeutende, wichtige Objekte in Vitrinen locken nicht mehr genug zahlende Gäste aus ihren Fernsehsesseln heraus. Da muß man schon, wie der Museumsarchitekt Uwe Brückner, von dem das Konzept der „Titanic“-Austellung in Hamburg stammt, sein „Event mit Sound, Raum und Bild durchinszenieren wie eine wagnerische Oper“. Emotionen müssen geweckt werden, sei es durch einen schaukelnden Fußboden, der den Besuchern die schlingernde See in die Glieder fahren läßt, oder dadurch, daß die Ausstellung eine „Struktur wie im Filmschnitt“ hat.
Noch radikaler und ohne jegliche Berührungsängste brachte John Pohl vom Fowler Museum of Cultural History in Los Angeles Museum und Movie zusammen. Nicht umsonst hat er sowohl einen Studienabschluß in Archäologie als auch in Filmproduktion. Er sprach ganz selbstverständlich davon, daß Text und Bilder manipuliert werden müssen, damit man mit ihnen eine Geschichte besser erzählen kann. Er riet den Museumsmachern, mit einem „Storyboard“ zu arbeiten, weil so Geschichte, Objekte, Bilder und Texte am einfachsten zu übersehen und zu verändern seien. Pohl leitete Ausgrabungen, organisierte Ausstellungen, verband durch Computeranimationen archäologische Daten mit indianischen Religionen und arbeitet zur Zeit in Hollywood als technischer Berater für einen Animationsfilm über die lateinamerikanischen Indianerstämme. Er ist also der Prototyp eines neuen Museumsmenschen, der personifizierte Link (ein Lieblingswort nicht nur bei diesem Symposium) zwischen Wissenschaft, Pädagogik und Entertainment.
Auch den Regisseur, der den Zeichentrickfilm über die Indianerkulturen plötzlich in einen Tarzan-Streifen umfunktionieren wollte, brachte Pohl mit flugs gezeichneten Mayatempeln und Aztekenkostümen wieder zur Räson. Denn in den Bildchen fand der Filmemacher seine Kindheits-Comic-Träume wieder.
Wenn also solche Schlitzohren wie John Pohl, denen es mit der Wissenschaft und dem Entertainment gleich ernst ist, die schöne neue Museumswelt schaffen, dann kann sie nicht ganz schlecht werden.
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