: UNHCR: Killing fields im Kosovo
■ Hilfsorganisationen wollen Vertriebene von der albanischen Grenze in sichere Gebiete bringen. Bundeswehrarzt stellt „neue Qualität“ von Mißhandlungen fest. Schußverletzungen selbst bei Kindern
Kukes/Tetovo/Genf (taz/epd/dpa) – Nach erneuten serbischen Artillerieattakken wollen die internationalen Hilfsorganisationen rund 100.000 Vertriebene aus Kosovo von der nordalbanischen Region Kukes in andere Gebiete Albaniens transferieren. Geschossen wird auf die Umgebung der benachbarten Stadt Kruma, die nahe an der Grenze zum Kosovo liegt. Erst gestern morgen feuerten serbische Artilleristen Granaten auf die Region, nachdem Nato-Flugzeuge den serbischen Grenzposten Gorozhupi mit Raketen zerstört hatten.
Gleichzeitig sind nach UN-Angaben innerhalb eines Tages rund 16.000 Kosovo-Albaner aus ihrer Heimat vertrieben worden und haben völlig erschöpft und traumatisiert Albanien oder Makedonien erreicht. Der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Kris Janowski, sagte gestern in Genf, es gebe immer neue Berichte von Erschießungen und Mißhandlungen durch serbische Sicherheitskräfte. In Albanien ankommende Flüchtlinge hätten von wahren „killing fields“ rund um Djakovica gesprochen. Diese Region im Westen sei zweifellos eine der gewalttätigsten und grausamsten des ganzen Kosovo, so das UNHCR.
Makedonien hat inzwischen laut UNHCR einer Erweiterung des zuletzt errichteten Camps Cegrane von 25.000 auf 40.000 Plätze zugestimmt. Insgesamt hat das Land jetzt 211.000 Flüchtlinge aufgenommen, während in Albanien mehr als 400.000 leben. UNHCR-Sprecher Janowski sagte unter Berufung auf Flüchtlingsaussagen, viele Männer seien auf der Flucht von ihren Familien getrennt und einige sofort erschossen worden. Insgesamt könnten laut Flüchtlingsaussagen bis zu 2.000 Männer von serbischen Sicherheitskräften ausgesondert worden sein. Mehrere Flüchtlinge berichteten von einem Massaker an 15 Männern und Frauen durch Paramilitärs am Wochenende in der kleinen Ortschaft Vrbovac. In einem Zug mit 2.000 Flüchtlingen, der Makedonien erreichte, befanden sich laut Janowski 42 der 102 Männer, die bereits am Samstag in der Nähe von Pritina von ihren Familien getrennt worden waren. Sie seien auf der Polizeistation der Hauptstadt über Aktivitäten der UÇK verhört und nach eigenen Angaben zum Teil schwer mißhandelt worden. Janowski wies darauf hin, daß die Berichte der Flüchtlinge nicht von unabhängiger Seite nachgeprüft werden könnten. Sie seien aber in der Regel glaubwürdig.
Die gewaltsame Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo geht offenbar mit einer „neuen Qualität“ von Brutalität und Mißhandlungen einher. Diesen Schluß zog am Mittwoch ein Bundeswehr-Arzt im makedonischen Camp Cegrane: „Es gibt eine neue Qualität in der Intensität der Verletzungen und bei den Mißhandlungen, die wir so bislang nicht erleben mußten“, erklärte Oberst-Arzt Dr. Max Hagel auf einer Pressekonferenz in Tetovo, dem Hauptquartier des deutschen Truppenkontingents in Makedonien. Hagel erwähnte das gehäufte Auftreten von Schußverletzungen selbst bei Kindern sowie den konkreten Fall der Mißhandlung eines älteren Ehepaares. Der zwischen 50 und 60 Jahre alte Mann sei offensichtlich mit dem Mobiliar seines eigenen Hauses geschlagen worden. Er wies unter anderem eine Rippen-Serienfraktur auf; „die Mittelhandknochen wurden ihm absichtlich gebrochen“, sagte Hagel. An der Frau wurde ein stumpfes Bauchtrauma festgestellt; ihr wurde „massiv in den Unterleib getreten“. In jedem neu ankommenden Bus würden sich zwei bis drei Fälle dieser Art befinden, führte der Oberst-Arzt weiter aus. Einen derart „raschen Zufluß an Opfern von Mißhandlungen“ habe man bislang nicht registriert. er
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