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„Queerer“ Blick auf die Gesellschaft

■ Hamburger Uni-Initiative fordert Institut und Studiengang für kritische Geschlechter- und Sexualitätenforschung

Lange Zeit wurden Lesben, Schwule und andere Menschen, die nicht ins heterosexuelle Männchen-Weibchen-Schema paßten, in der Wissenschaft lediglich als bizarre Forschungsobjekte betrachtet. Man suchte nach den Ursachen der „Abweichungen“ und erfand „Therapien“ zu ihrer Beseitigung. Seit der Homosexuellenbewegung haben die Beforschten den Spieß umgedreht und hinterfragen die Ursachen, die zu ihrer Etikettierung und Diskriminierung führten und führen. In den USA und den Niederlanden ist daraus ein Forschungsfeld entstanden, das sich unter Namen wie „Homostudies“ oder „Queer Studies“ einen Platz in den Elfenbeintürmen erobern konnte. Deutsche Unis sind noch lange nicht so weit: Hier beruht kritische Geschlechter- und Sexualitätenforschung auf den Initiativen einzelner ProfessorInnen oder DoktorandInnen.

Wenn es nach der „AG LesBiSchwule Studien“ geht, soll sich das an der Universität Hamburg ändern. Die etwa zehn Studierenden und Lehrenden fordern die Einrichtung eines Instituts für „Queer Studies“ und einen entsprechenden Studiengang, den Studierende aller Disziplinen als Nebenfach belegen können. „Queer steht hier für mehr als schwul und lesbisch“, erläutert AG-Mitglied Stefan Micheler, Doktorand der Geschichtswissenschaft. „Es soll untersucht werden, wie, durch wen und mit welchen Auswirkungen Normalität und A-normalität konstruiert werden. Das betrifft Homo- und Bisexuelle ebenso wie Transsexuelle oder allgemein Menschen, die nicht den gängigen Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit entsprechen.“ Diese Perspektive ermögliche einen neuen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse.

Nötig wäre hierzu ein Grundstock an festen Stellen, insbesondere zwei Professuren. Außerdem sind in dem von der AG erarbeiteten Konzept eine Bibliothek und ein Archiv vorgesehen, um Literatur zugänglich zu machen, die bislang mühsam von auswärts beschafft werden muß. Als festes, fächerübergreifendes Institut wären die „Queer Studies“ in Deutschland einmalig, zumal die befristete Finanzierung eines ähnlichen Projekts, der „Schwullesbischen Studien“ an der Uni Bremen, 1998 ausgelaufen ist. Jakob Michelsen

Die AG LesBiSchwule Studien veranstaltet heute einen Studientag mit Vorträgen, Lesungen, Work-shops und Multimediavorführungen, in denen es um Inhalte und Ziele von „Queer Studies“ gehen wird. Zu einer Podiumsdiskussion hat sich auch die Staatsrätin der Wissenschaftsbehörde, Marlies Dürkop (SPD), angesagt. Ab 12 Uhr im Phil-Turm, Von-Melle-Park 6

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