piwik no script img

Fortführung der Wedding-Mission

Proletarier aller Kleinkünstler: Mit ihrem Programm „Nackt unter Kannibalen – der große Berlin-Report“ entern die drei Herren vom „Mittwochsfazit“ zum ersten Mal eine große Bühne  ■   Felix Herbst

„Als ich heute morgen aus dem Fenster geschaut habe, war das Wetter schlecht,“ erzählt Horst Evers auf der letzten Probe mit zufriedenem Gesicht. Schlechtes Wetter Ende April ist gut fürs Theater. Das Schlot ist eigentlich kein richtiges Theater, sondern ein Club. Dort treten Horst Evers, Bov Bjerg und Manfred Maurenbrecher normalerweise jeden Mittwoch als das „Mittwochsfazit“ auf. Seit drei Jahren schon. Und sehr erfolgreich. Das Programm beginnt immer um 21 Uhr. Wer einen Sitzplatz haben will, der muß um 19 Uhr, wer im Treppenhaus noch etwas hören will, sollte spätestens um 20 Uhr da sein.

Aber es gibt den Moment im Leben jedes Künstlers, da fragt er sich, was er eigentlich will. Bis ans Lebensende in kleinen verrauchten Clubs den erweiterten Bekanntenkreis unterhalten? Oder auf die große Bühne? „Als ich vor vielen Jahren bei der Post arbeitete und alle Frank-Sinatra-Biographien gelesen hatte, habe ich mich gefragt, was ich mache, wenn die Mafia kommt und verspricht, aus mir einen Star zu machen, wenn ich ihr dafür ein paar Postgeheimnisse verrate“, erinnert sich Horst Evers und fügt hinzu: „Ich habe damals keine Antwort gefunden.“

So viele Skrupel passen zu dem Mann, der in den Kleinkunstkneipen dieser Stadt mit seiner liebenswerten Unendlichstory über das harte, karge Leben in einer Weddinger Parterrewohnung lokalberühmt geworden ist.

Mittlerweile wohnt er in Kreuzberg und führt dort die Wedding-Mission fort (laut eines ungeschriebenen Gesetzes muß jeder Weddinger in die Welt hinaus, um die Ungläubigen zu den einfachen Regeln des Lebens zu bekehren). „Vielleicht sind wir so etwas wie das Proletariat unter den Kleinkünstlern, die Adolf Henneckes des literarischen Witzes,“ setzt Horst Evers auf die unbeliebte Frage an, wie sie das eigentlich selbst nennen, was sie auf der Bühne machen. „Aber nee, nee, bloß nicht aufschreiben.“ Ihm sitzt noch der Schock in den Knochen, als er mal für ein Programm mit einer langen Aufzählung von Beschreibungen geworben hat, und nachher haben alle Journalisten nachgetextet, das wäre Trash-Comedy. Horst Evers will kein Trash-Komödiant sein. Seine beiden Partner auch nicht. „Wir lesen Texte, singen Songs und spielen Szenen,“ mischt sich Bov Bjerg ein. „Jaaagenau“, brummt Maurenbrecher.

Während Bjerg und Evers zu der Generation von abgebrochenen Germanistikstudenten gehören, die seit Anfang der 90er Jahre im Umfeld von Dr. Seltsam ausprobieren, wie man als Schreiber von lustiger Kürzestprosa ein Popstar werden kann, ist Maurenbrecher eigentlich ein Liedermacher. Der Begriff Liedermacher stammt ebenso aus einer anderen Zeit wie der Mann selbst. Der 49jährige empört sich leise über die neomilitanten Schriftsteller, die seit kurzem über Leute herziehen, die ihre Tage immer noch lieber gemütlich im Café vertrödeln, statt sich bei der Bundeswehr zu melden. Maurenbrecher ist ein sanft grummelnder, aber leidenschaftlicher Kämpfer für ein besseres Leben, der mit Hilfe eines Klaviers bizarre Alltagsgeschichten in gefühlvolle Balladen oder sarkastische Gassenhauer – oftmals in beides zugleich – verwandelt. Er ist nicht nur das musikalische, sondern auch das romantische Rückgrat des Trios. Zudem einer, der sein Studium ordentlich abgeschlossen hat, bevor er Kleinkünstler wurde.

Komplett wird das „Mittwochsfazit“ mit Bov Bjerg, der alle Vorzüge seiner österreichisch-schwäbischen Herkunft ausspielt. Er vermengt bodenständige Ehrlichkeit mit bösem Bernhard-Schmäh, bekennt sich schamlos zu kleinbürgerlichen Aufstiegsphantasien („So was wie Kempowski mal werden, warum nicht?“) und arbeitet konsequent gegen den schnellen Witzverschleiß an der schrittweisen Etablierung des humoristischen Langtextes.

Die drei stehen nun zum ersten Mal gemeinsam auf der großen, großen Bühne des Mehringhoftheaters. Bjerg fängt den ersten Text an: „Rückkehr in die große, große Stadt“, und schon lacht einer. Weiß der Teufel, warum das so ist. Vielleicht kannte er die Geschichte schon. Das zweistündige Programm ist ein Test, ob das clubtaugliche Format auch vor 200 Leuten bestehen kann. Es ist ein charmant unfertiger Abend für soulfulle Kleinkunstliebhaber. Kein Kabarett für Werktätige, sondern Entertainment für Cafébenutzer. Die große Bühne ist für die, die sich das auf komfortable Art mal ansehen wollen. Ein bißchen wie Premiere mit 16:9 und Dolby Surround statt Olympiastadion.

Heute und morgen ab 20 Uhr 30 im Mehringhoftheater, Gneisenaustr. 2 a

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen