■ Die neue globale Nato-Strategie kann zu einer gefährlichen Konfrontation mit Rußland, China und Indien führen
: Nato-Erweiterung bis nach Asien?

Die Kritik an der neuen Nato-Strategie bezog sich bisher darauf, daß nunmehr – in „Ausnahmefällen“ – auch „Out of area“-Aktionen möglich sein sollen – gegebenenfalls auch ohne UN-Mandat. Noch bleibt diese Debatte abstrakt, solange über Kosovo hinaus kein konkretes Aktionsgebiet in Sicht ist. Wohin sich die Nato entwikkeln wird, ist noch nicht vollständig ausgemacht – die USA wollen eine global aktive Nato und damit eine Marginalisierung der UN, der OSZE und der russischen Rolle, die Europäer wollen eher eine Euro-Zentrierung der Sicherheitspolitik, eine enge Zusammenarbeit mit Rußland und eine stärkere UNO.

Viel spricht jedoch dafür, daß sich eher die US-Tendenz durchsetzen wird – und zwar nicht nur wegen der US-Dominanz im Bündnis. Den anderen Grund hat die Nato selbst kürzlich in Washington geliefert. Darüber ist bisher kaum debattiert worden, obwohl sich daraus viel weitgreifendere Konsequenzen ergeben als aus gelegentlichen „Out of area“-Einsätzen.

Ich meine die Absicht einer weiteren Nato-Ausdehnung, über die bereits erfolgte Osterweiterung hinaus. Die europäischen Nato-Staaten haben diesem Plan nicht widersprochen, obwohl sie eher im Interesse der US-Weltmacht als dem Europas liegt. Bei dieser Erweiterung geht es um wesentlich mehr als die Aufnahme der baltischen Staaten, Sloweniens, Kroatiens, Rumäniens und Bulgariens. Schon die in Aussicht gestellte Aufnahme südosteuropäischer Staaten kann bedeuten, daß dem Ausbau der Nato zu einem Hegemonialbündnis weiterhin die Priorität vor einer gesamteuropäischen Sicherheitsorganisation gegeben wird.

Die eigentliche politische Brisanz einer Nato-Ausdehnung liegt aber darin, daß inzwischen sogar osteuropäische, kaukasische und transkaukasische Staaten der ehemaligen Sowjetunion quasi offiziell schon einen Kandidatenstatus erhalten haben. Zu den „Nato-Partnerschaftsländern“, die auf dem Gipfel in Washington versammelt waren, gehörten nicht nur die Ukraine und Moldawien, sondern auch Georgien, Kasachstan und Aserbaidschan, ja sogar die zentralasiatischen Staaten Kirgistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan.

Eine Nato-Ausweitung bis an die innerasiatische Grenze Chinas und bis zum Himalaja: Dies ist kein europäischer Plan, sondern ein globalstrategischer Plan der amerikanischen Weltmacht, der die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts entscheidend prägen würde. Er würde es den europäischen Staaten, ließen sie sich darauf ein, kaum noch möglich machen, ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Und er könnte einen neuen Rüstungswettlauf einläuten.

Dem Gedanken einer Nato-Ausdehnung bis nach Zentralasien liegen US-Ressourceninteressen zugrunde – es geht um die knapper werdenden globalen Ölreserven. Lange Zeit konzentrierten sich diese auf die Arabische Halbinsel, was u.a. die amerikanisch/britische Rolle im Nahen Osten erklärt.

Doch nun richtet sich das Augenmerk mehr und mehr auf die kaukasischen und transkaukasischen Ölquellen, weil damit gerechnet wird, daß die arabischen Ölquellen über kurz oder lang versiegen.

Vordergründig scheint es deshalb verständlich, sich frühzeitig um Ersatzressourcen zu bemühen, entsprechende Verträge zu schließen, in Fördertechniken und Pipelines zu investieren und dies politisch abzusichern. Dies läge ebenso vordergründig auch im Interesse Europas – auch wenn dies dem herrschenden Vorurteil folgt, daß es keine Energie-Alternative dazu gebe und auch – wieder einmal – keine politische Alternative.

Doch die Nato-Asienerweiterung spricht eine andere Sprache. Es geht um den Versuch der USA, diese Ressourcenregion politisch zu kontrollieren – das Bündnis soll Eskorte von Öl- und Gaskonzernen werden. Im arabischen Raum unternahmen jahrzehntelang die USA, stets sekundiert von Großbritannien, diese Versuche in eigener Verantwortung.

In Kaukasien und Transkaukasien geht dies nur mit Hilfe der europäischen Nato-Partner, weil nur so eine geographisch ununterbrochene militärische Bündnislinie bis ins Innere Asiens geschaffen werden kann. Daß es dabei nicht um eine Ausweitung der demokratischen Wertegemeinschaft geht, zeigt nicht nur der Blick in die Innenpolitik der innerasiatischen Nato-Anwärter, sondern auch die jahrelange US-Unterstützung ausgerechnet für die radikalfundamentalistische Taliban in Afghanistan.

Schon dabei ging es um die Gegenleistung, afghanisches Territorium für künftige US-Pipelines nutzen zu dürfen. Daß es in innerasiatischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion menschengerechter oder demokratischer als in Rußland zugehe, kann niemand ernsthaft behaupten. Auch Stabilisierungsziele in dieser Region können nicht seriös für eine Nato-Erweiterung bis in das Innere Asiens geltend gemacht werden. Denn zu erwarten ist das genaue Gegenteil. Schon weil Rußland so, abermals und heftiger als je zuvor, gedemütigt würde. Vor allem aber würde eine Nato-Asienausdehnung mit den Ressourceninteressen Chinas und Indiens kollidieren. Beide Länder stellen ein Drittel der Weltbevölkerung. Sie haben einen dramatisch wachsenden Ölimportbedarf, der jährlich um 20 bis 30 Prozent steigt. Gleichzeitig nähern sich die Ölreserven ihrer globalen Erschöpfung. Alle Ressourcenforscher rechnen damit, daß vor dem Jahr 2050 die Ölquellen versiegt sein werden, die kaukasischen und transkaukasischen sind die letzte große Weltreserve. Die Interessenkonflikte zwischen den USA, die allein etwa 25 Prozent des weltweiten Jahresangebots konsumieren, kollidieren zunehmend vor allem mit den wachsenden chinesischen und indischen Bedürfnissen.

In dieser Lage werden weder China noch Indien akzeptieren, daß sich die USA mit der Nato den privilegierten Zugang zu den innerasiatischen Quellen sichern. Ihre naheliegende Antwort wird sein, daß sie sich nicht nur miteinander, sondern auch mit einem aus dem US-dominierten Nato-Europa abgetriebenen Rußland zu einem strategischen Dreierbündnis formieren – mit Rußland als Ressourcenlieferant und militärischer Ausrüster Indiens und Chinas, bis hin zu Atomwaffen.

Daraus droht ein neuer Ost-West-Konflikt zu werden. Nach Asien verschoben – mit spannungsgeladenen Folgen und atemberaubenden Hochrüstungen. Dabei liegt die Alternative auf der Hand: europäische Kooperation mit Rußland, Aufbau gesamteuropäischer Sicherheitsstrukturen, massive Förderung erneuerbarer Energien statt Militärbudgets zur Sicherung des asiatischen Öls. Die Nato-Asienerweiterung riecht nach Pulver. Man sollte die Finger davon lassen. Hermann Scheer

Bei der Nato-Erweiterung bis nach Asien geht es um den Zugriff auf Ölreserven

Je knapper die Öl- vorkommen werden, desto härter wird der Kampf darum