: Alter Onkelzauber
Alle wollen Imre-Kértesz-Bücher: Eine Lesung mit drei ungarischen AutorInnen in der Akademie der Künste ■ Von Katja Hübner
Küßchen links, Küßchen rechts. Küßchen rechts, Küßchen links. „Hallo, Imre!“ begrüßte ein Ehepaar aus der ersten Reihe Imre Kértesz, einen Mann mit verschmitzt-clowneskem Gesicht, der in Deutschland durch den „Roman eines Schicksallosen“ bekannt wurde.
Freunde und Kenner der ungarischen Literatur sorgten am Donnerstag abend in der Akademie der Künste für eine intime Atmosphäre. Die Isolierung der ungarischen Sprache hat bisher weitgehend dazu beigetragen, daß die ungarische Literatur, bis auf einige Ausnahmen, den ausländischen Lesern verschlossen blieb. Das soll sich jetzt ändern. Ungarn ist im Herbst Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse. Vorausschauend war deshalb die Idee von György Konrád, dem Präsidenten der Akademie der Künste, eine Auswahl an neuer ungarischer Kunst und Literatur im Rahmen der Begegnungsveranstaltung „Budapest–Berlin '99“ zu präsentieren. Drei Budapester Autoren eröffneten mit Auszügen aus ihren neuesten Werken die Programmreihe ungarisch-deutscher Begegnungen. Imre Kértesz, 1929 in Budapest geboren, las aus seinem zuletzt auf deutsch erschienenen Prosaband „Ich – ein anderer“ (Berlin 1998). Der „verzauberte alte Onkel“, wie György Konrád den Schriftsteller in seiner Laudatio titulierte, führte uns in seiner Erzählung nach Leipzig – in eine Stadt mit sowjetischen Plattenbauten, in der die Leute immer noch an Privilegien glauben. Zynisch reflektiert Kértesz Erinnerungen an eine Lesereise, die ihn Anfang der 90er Jahre in die ostdeutsche Stadt brachte: „Der Abend läuft wie gewohnt ab. Eine junge Frau spielt Cello. Ich lese ein bißchen, beantworte Fragen, und danach gehen wir alle zusammen zu irgendeinem Italiener.“ Als Gast im Hause des Bürgermeisters wird der Autor im Restaurant vom Wirt eingeladen. Der Taxifahrer schaltet daraufhin die Zähleruhr ab. Kértesz ist bedient. „München ist schöner“, resümiert er, „dort kann ich mich in ein Restaurant setzen und die Rechnung selbst bezahlen.“ Das ausgewählte Publikum in der Akademie lacht ausgiebig. Präzise illustriert Kértesz die alten DDR- Geltungsdenkmuster. Die Stadt, in der unbeschilderte Straßen für Verwirrung sorgen, führen den Autor in die Vergangenheit. Stimmen aus fernen Zeiten vermischen sich mit sächsischer Ahnungslosigkeit. Der sozialistische Schwindel mit den Autoritäten muß büßen – eine Hommage an den Kapitalismus.
Neben Imre Kértesz stellten auch der 1954 geborene Autor László Krasznahorkai („Der Gefangene von Urga“) und die bisher in Deutschland noch nicht veröffentlichte Lyrikerin Zsusza Rakovszky ihre Arbeiten vor. Rakovszky bescherte der Audienz das einmalige Vergnügen, der ungarischen Sprache zu lauschen. Obwohl irgendwie alles wie „Esterházy“ klang, bekam der Zuhörer zumindest einen Eindruck von dem finno-ugrischen Sprachklang.
Übersetzt wurden die Texte aber trotzdem. Der von György Konrád pikaresk begleitete Einstiegsabend in die bis Oktober dauernde ungarisch-deutsche Freundschaft war gelungen. Niemand hörte Cello, niemand stellte Fragen, niemand ging zum Italiener. Alle wollten Kertész-Bücher. Am Sa. u. a. ab 20 Uhr Péter Esterházy und Deszö Tandori, am So. ab 22 Uhr George Tabori, befragt von Peter Lilienthal
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