: Die Nato bombt stur weiter
■ Jugoslawische Quellen berichten von Toten und Verletzten bei Bombeneinschlag in Klinik der Stadt Nis – die Nato prüft. Erneuter Einschlag einer Nato-Rakete in Bulgarien
Bei Nato-Angriffen auf die südserbische Stadt Nis sind nach jugoslawischen Angaben mindestens zehn Menschen in einem Krankenhaus und der Umgebung getötet worden. 50 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte das jugoslawische Außenministerium gestern in Belgrad mit. Die jugoslawische Nachrichtenagentur Beta meldete zwölf Tote bei dem Angriff. Vier Menschen seien im Hospital, die übrigen auf einem Markt und angrenzenden Straßen umgekommen. 22 Opfer seien schwer verletzt.
Die Nato wollte die Berichte nicht kommentieren, solange der Sachverhalt nicht geprüft sei. Nach Angaben ihres militärischen Sprechers, des deutschen Generals Walter Jertz, besitzt die Allianz keine Informationen über den Einschlag einer ihrer Bomben auf das Krankenhaus in Nis. Der Bürgermeister der südserbischen Stadt hatte zuvor Reuters telefonisch mitgeteilt, das Zentralkrankenhaus der Stadt und der Markt sei um 11.25 Uhr von Splitterbomben getroffen worden. Geschosse seien in der Pathologie, auf einem Parkplatz und in benachbarten Häusern eingeschlagen. Er habe mit eigenen Augen vier Leichen in den Straßen liegen sehen. Die Polizei habe ihm von sechs Tote auf dem Marktgelände berichtet.
Zum fünften Mal schlug in der Nacht zu gestern eine vermutlich von einem Nato-Flugzeug stammende Rakete in Bulgarien ein. Der Rundfunk in Sofia berichtete, die Rakete habe in dem Dorf Ljulin bei Pernik einen kleinen Krater geschlagen. Über Sachschäden wurde nichts bekannt.
Nach eigenen Angaben setzt die Nato ihre Angriffe auf Ziele in Jugoslawien unvermindert fort. Nato-Sprecher Jertz dementierte damit, daß nach dem G-8-Treffen in Bonn die Angriffe nachlassen würden. Nur schlechtes Wetter könne die Angriffe behindern oder die Annahme der von der Nato gestellten Bedingungen durch Jugoslawiens Präsident Milosevic. Bei den jüngsten Angriffen seien unter anderem sieben Panzer und zwölf Artielleriestellungen im Kosovo zerstört worden. US-Verteidigungsminister William Cohen kündigte die Verlegung zusätzlicher 176 Kampf- und Tankflugzeuge nach Europa an. Bisher standen der Nato für die Angriffe 639 US-Maschinen zur Verfügung.
Serbische Medien berichteten gestern von Nato-Angriffen auf die Städte Novi Sad im Norden, Cacak im Zentrum und Sjenica im Sandzak-Gebiet an der Grenze zu Bosnien. In der Nacht seien der Flughafen von Pristina und das Gebiet von Decani im Kosovo sowie die Gegend von Pudojevo bombardiert worden.
Nato-Sprecher Jertz behauptete, daß die serbischen Truppen im Kosovo aus Mangel an Nachschub „nicht mehr viel länger überleben“ können. „Wir können warten, bis sie aufgeben oder bis Milosevic zum Telefon greift – wenn er noch genügend Strom hat“, so Jertz. In das Kosovo gelange kein Nachschub mehr. „Die serbischen Truppen agieren nicht mehr“, sagte Jertz. „Sie reagieren nur noch, um sich vor den Angriffen zu schützen. Sie können sich nicht mehr straflos bewegen. Sie graben sich in kleinen Einheiten ein“.
Nato-Flugzeuge haben nach Angaben von Jertz bei bisher 17.000 Einsätzen mehr als 300 Panzer, Kanonen und Lastwagen zerstört. Das seien 20 Prozent des Gesamtvolumens der Serben an solchen Ausrüstungen im Kosovo. 50 Prozent der Munitionsvorräte und 70 Prozent der Treibstoffvorräte seien vernichtet worden.
Nach Angaben des jugoslawischen Parlamentspräsidenten sind seit Beginn der Nato-Angriffe am 24. März in Jugoslawien 1 200 Menschen durch die Nato getötet worden. Mehr als 5 000 Menschen seien verletzt worden, sagte der Vorsitzende der jugoslawischen Volksvertretung, Srdja Bozovic, gestern in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Nato-Bomben hätten zudem 25 Brükken, 16 Bahnhöfe und mehr als 50 Industriebetriebe in Jugoslawien zerstört, zitierte die Nachrichtenagentur Interfax Bozovic. In einem Gespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Alexander Tkatschenko sagte Bozovic, vor den Nato-Angriffen habe es keine „humanitäre Katastrophe“ oder „ethnische Säuberungen“ gegeben. Das ukrainische Parlament beauftragte die Regierung des Landes, eine Hilfslieferung mit Medikamenten und Lebensmitteln für die jugoslawische Bevölkerung vorzubereiten.
UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannte gestern den früheren schwedischen Ministerpräsidenten und Ex-Bosnien-Beauftragten Carl Bild zum Kosovo-Beauftragten. Als weiteren UN-Vermittler für den Balkan bestätigte er den slowakischen Außenminister Eduard Kukan. dpa/rtr/AFP
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