piwik no script img

Im Bett mit der Melonenzeremonie

■ Über die Vorzüge Berliner Hexen bei der Verarbeitung von Eheproblemen

Heute wie gestern schätzen viele materialistisch eingestellte Menschen metaphysische Erklärungen, weil sie in Dingen, die andere unangenehm oder verächtlich finden, etwas höchst Bedeutungsvolles sehen. Wenn einer mit sich unzufrieden ist, denkt er gleich, das Bett muß in eine andere Ecke gestellt werden, oder die Ausländer sind schuld oder sogar Außerirdische.

Sich nicht selbst verantwortlich fühlen und alles zugleich interessant finden, dieses Gefühl verdanken wir der Metaphysik. Man sucht nach dem eschatologischen Wunder zur Lösung aller Konflikte, nach einer augenblicklichen und endgültigen Errettung, nach Auferstehung.

Als unsere russische Freundin Marina plötzlich von ihrem Mann verlassen wurde, weil er sich nach zehn Jahren Ehe in eine Ballerina verknallte, erlitt sie einen Schock. Die Welt ging unter, sie verlor beständig an Gewicht und konnte nicht mehr richtig schlafen. Wir fanden die Geschichte ziemlich komisch, denn seit Ewigkeiten hatte Marina die Kulturlosigkeit ihres Mannes bekämpft. Er saß immer nur zu Hause vor dem Fernseher und zeigte keinerlei Interesse fürs intellektuelle öffentliche Leben. Und was passierte? Der alte Sack gab nach, ging ins Ballett und fiel prompt auf die erste Tänzerin rein, die er in seinem Leben sah. Man hätte die Reaktion eines 45jährigen Mannes, der vorher noch nie eine Ballerina aus der Nähe gesehen hatte, voraussehen können. Allerdings befand Marina, daß sie verhext sei (von der verstorbenen Mutter ihres ersten Mannes) und daß sie bestimmt sterben müsse, wenn es uns nicht gelänge, für sie in Berlin eine Hexe zu finden, die sie wieder fit machte.

Da ich mich im Hexenbereich überhaupt nicht auskenne, wandte ich mich an einen Freund, der bei uns in der Familie als ortskundig gilt. Er schlug gleich zwei Hexen vor, die seiner Meinung nach dieser Aufgabe gewachsen seien: eine chinesische und eine afrikanische.

Frau U Ti empfing ihre Kundschaft nicht in einer mit Rattenschwänzen geschmückten Grube, sondern in einer Gemeinschaftspraxis für Heilmedizin. Die Art der Zauberei, die sie ausübte, hieß Kinesiologie. Für 30 Mark beanspruchte sie, bald zu wissen, was Marina fehlte. Dazu nahm sie Marinas Hände und befragte ihre Muskeln auf deutsch mit leicht chinesischem Akzent.

Die russischen Muskeln reagierten leise und geschwächt. Trotzdem konnte Frau U Ti sie sehr gut verstehen. Nachdem sie sich mit Marinas sämtlichen Gliedern gründlich unterhalten hatte, schlug sie vor, für nur 60 Mark einen Heilextrakt für ihren armen Körper zusammenzustellen. Marina legte sich hin, Frau U Ti stellte verschiedene Gläschen auf ihre Brust und fragte jedesmal den Körper, ob es die richtige Medizin sei. Nachdem die passende gefunden worden war, ging es Marina sogleich besser. Sie lachte mit uns zusammen und war einige Tage fröhlich. Doch von der Hexerei war sie enttäuscht. Sie hatte sich was anderes darunter vorgestellt.

So beschlossen wir, uns auch noch an die afrikanische Hexe zu wenden. Sie empfing uns nicht in einem Keller, wo lauter Schädel auf dem Boden herumlagen, sondern in einer Berliner Dreizimmerwohnung mit Parkettboden und Polstergarnitur. Gleich an Marinas Augen stellte sie fest, daß unsere Freundin von Dämonen besessen war. Sie bot uns für 200 Mark ein sicheres und seit Jahrhunderten bereits erprobtes Mittel an: die sogenannte Melonenzeremonie. Dabei wird der Patientin unter Gesängen eine Melone an den Bauch gebunden, mit der sie sich dann einen Tag und eine Nacht lang ins Bett legen muß. Die Krankheit wandert unterdessen in die Frucht, und wenn die Patientin diese dann schließlich am Boden zerschmettert, wird auch der Dämon mitzerschellt. Das war uns dann doch zu exotisch, und wir verschwanden.

Die heile Welt der Magie ist genauso eng wie die unsere. Eine Woche später bekamen wir einen Anruf von einer bereits über alles informierten jugoslawischen Hexe. Als Beweis dafür, daß Marina verhext sei, schlug sie vor, ein Küchenmesser in einen Topf mit Wasser zu legen, diesen unter ihrem Bett über Nacht stehen zu lassen und am nächsten Tag in den Topf zu schauen. Wenn sich das Wasser verflüchtigt hatte, dann hieß das: Die böse Macht betrat das Schlafzimmer und trank. Das Messer muß in dem Fall aus dem Fenster geschmissen werden. Trifft es mit der Spitze auf die Erde, wird Marina geheilt. Da sie im 11. Stock eines Neubaus wohnt und unten immer Kinder spielen, traute sie sich nicht, das Messer aus dem Fenster zu werfen.

Für lausige 900 Mark bot die jugoslawische Hexe ihr statt dessen ein bis jetzt unübertroffenes Heilungsprogramm an: Marina gibt ihr eins von ihren Unterhöschen, mit diesem fährt sie nach Jugoslawien und läßt es dort in fünf verschiedenen Klöstern von fünf Priestern segnen. Dann bringt sie das Höschen zurück, und Marina muß es 14 Tage und 14 Nächte tragen. Daraufhin wird Marinas Mann auf dem schnellsten Wege wieder bei ihr aufkreuzen. „Aber ich will gar nicht, daß er zurückkommt“, erwiderte Marina, „außerdem ist in Jugoslawien doch Krieg!“

Die Hexe wußte nichts davon. Wir gingen nach Hause, Marina war verunsichert: „Ob sie überhaupt mit meinem Höschen zurückgekommen wäre?“ Ich antwortete nicht. Die heile Welt der Magie war für uns erst einmal erledigt.

Wladimir Kaminer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen