: Benjamin Netanjahu gibt nicht auf
Eine Woche vor den israelischen Wahlen sprechen die Umfragen gegen den amtierenden Premier. Trotzdem besteht kaum Anlaß zu Optimismus ■ Aus Jerusalem Susanne Knaul
Heute in einer Woche, am 17. Mai, sind die Wahlberechtigten in Israel aufgefordert, zwei Stimmzettel abzugeben: einen für den künftigen Ministerpräsidenten und einen für das neue Parlament. Der Ministerpräsident muß mit absoluter Mehrheit gewählt werden, wenn mehr als zwei Kandidaten antreten. Sollte das keinem der Kandidaten gelingen, wird 14 Tage später eine zweite Wahlrunde stattfinden. Das Ergebnis der Parlamentswahlen steht dementgegen bereits nach dem ersten Wahlgang fest. 33 Listen treten an, die die 1,5-Prozent-Hürde schaffen müssen, um ins Parlament einzuziehen. 15 gelten als aussichtsreich.
Könnte man den Umfragen glauben, dann hätte Oppositionschef Ehud Barak (Arbeitspartei, Gescher, Meimad) bereits Grund zum feiern. Zwischen acht und zehn Prozent Vorsprung vor seinem Gegner, dem derzeitigen Amtsinhaber Benjamin Netanjahu, geben ihm die Meinungsforschungsinstitute. Dabei scheint die Tendenz bei Barak weiter steigend zu sein, im Gegensatz zu dem von Netanjahu entlassenen Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai, bei dem die große Sympathiewelle kurz nach der Gründung seiner Zentrumspartei langsam, aber stetig abebbt. Sollte Mordechai nicht noch vor der ersten Wahlrunde aus dem Rennen aussteigen, was er erklärtermaßen nicht vorhat, dann wird es in der zweiten Runde zum Stechen zwischen Netanjahu und Barak kommen. Beiden wird es indes schwerfallen, eine regierungsfähige Koalition aufzustellen, wenn sie nicht zum Opfer der Erpressung von Kleinstparteien werden wollen. Baraks Ein Israel, Netanjahus Likud und Mordechais Zentrumspartei werden deshalb, aller Voraussicht nach, gemeinsam eine große Koalition bilden.
Spannend bleibt jedoch die Wahl des Ministerpräsidenten. Netanjahu gibt sich noch längst nicht geschlagen. Die Umfrageergebnisse würden sich nicht zum ersten Mal als Fiktion entpuppen. Vor drei Jahren hatten die Meinungsforschungsinstitute Schimon Peres (Arbeitspartei) als den sicheren Sieger zu bestimmen gewußt. Und dann wurde es doch Netanjahu. Ein Blick auf die Wählergruppen muß den Optimismus derjenigen, die auf eine Wende in Jerusalem hoffen, schwinden lassen.
Seit 1977, als der konservative Menachem Begin mit den Stimmen der Sefarden (Juden aus arabischen Ländern) nach 30 Jahren sozialistischer Regierung die Wende schaffte, bleibt das Wahlverhalten der Israelis nahezu konstant. Besonders frappant sind die ultraorthodoxen Wähler, bei denen so gut wie keine Diskussion stattfindet. Der Rabbi sagt, wohin die Stimme gehen soll. Weit über 95 Prozent halten sich brav daran. Ähnlich sieht es bei der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei aus. In beiden Lagern gehen die Stimmen an Netanjahu. Die National-Religiösen wiederum geben ihre Stimme auch ohne Anordnung von den Rabbinern aus Überzeugung dem konservativen Kandidaten.
Die restlichen Stimmen teilen sich in vier große Gruppen auf: Aschkenasen (Juden aus Europa), Sefarden, Araber und russische Einwanderer, die hinsichtlich ihres Wahlverhaltens keine typischen Aschkenasen sind. Die Sefarden wählen mit gut 60 Prozent eher Rechts, und die Aschkenasen bleiben mit gleicher Prozentzahl dem linken Lager treu. Ungünstig für Oppositionschef Barak ist die demographische Entwicklung der vergangenen Jahre: Die sefardische Bevölkerung wächst schneller an als die aschkenasische.
Unsicherheitsfaktor für Netanjahu ist wiederum die Zentrumspartei von Jitzhak Mordechai. Der gebürtige Kurde ist vor allem für die konservativen sefardischen Wähler attraktiv. Wenn es dem linken Lager gelingt, die Stimmen zumindest eines Teils von Mordechais Wählern in der zweiten Wahlrunde für sich zu gewinnen, könnte sich das Blatt noch wenden. Vieles wird davon abhängen, wie Mordechai seinen Übertritt vom Likud zur Zentrumspartei bis hin zur Koalition mit der Arbeitspartei verkauft.
Letztendlich ausschlaggebend – darin sind sich alle Meinungsforschungsinstitute einig – werden die russischen Immigranten sein. Mit den Stimmen der Russen hat Jitzhak Rabin 1992 die Wende geschafft, und mit den Stimmen der Russen hat Benjamin Netanjahu 1996 seinen Sieg errungen.
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