: Theatersterben im Umland: Der letzte Akt
Die Handlung spielt am Theater in Frankfurt (Oder), am Kulturhaus Potsdam oder an der Brandenburgischen Philharmonie. Hauptdarsteller ist Reiche, der Kulturminister. Mit einem Gutachten will der Held jetzt allerorts den Kultureinrichtungen den Todesstoß versetzen ■ Von Rolf Lautenschläger
Es kommt selten genug vor, daß Provinzbühnen wie das Kleist-Theater der Stadt Frankfurt (Oder) große Abende erlebt. Geschieht dies doch, dann auf eine Weise, die für Furore sorgt. So hatte das Haus kürzlich die Inszenierung des „Klassenfeinds“ unter Polizeischutz auf die Bühne gebracht, was für die Theaterfans ein doppeltes Spektakel bedeutete. Kaum weniger spannend verliefen die Aufführungen der „Lorca-Trilogie“ von Jo Fabian, dessen innovatives Tanztheater internationales Flair – und eine Provokation mehr – an die Oder brachte.
Doch was den Frankfurter Intendaten Manfred Weber in Euphorie versetzt, nämlich „neue Dramatik, Uraufführungen und Aufsehen an das Haus zu bringen“, goutiert derzeit Brandenburgs Kulturminister Steffen Reiche (SPD) mit Ignoranz. Ganz im Sinne Heiner Müllers, der die kleinen Theaterhäuser im Umland Berlins für wenig aufregend hielt und einige von ihnen einfach dichtmachen wollte, hat Reiche die Schließung der Institutionen im Visier. Weil die Theater und Orchester nicht halten, was sie sollten, nämlich Geld und Publikum gleichermaßen zu akquirieren, droht der Kulturminister den Einrichtungen mit dem kulturellen Kahlschlag.
Drei Theaterhäuser in Potsdam, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder), deren Orchester und Musiktheater samt Werkstätten, Maske und Schneidereien seien mit rund 60 Millionen Mark jährlichen Subventionen in der jetzigen Form zu aufwendig und zu kostspielig. Statt die Dezentralität bei der ästhetischen Erziehung zu erhalten und der Abwanderung des Publikums in Richtung Berliner Kulturangebot einen Riegel vorzuschieben, setzt Reiche auf Konzentration. Eine Landesbühne in Potsdam und ein Staatsorchester in Frankfurt (Oder) sowie ein Stadtorchester in Brandenburg täten es auch. Die Abwicklungsbeschlüsse ereilten bereits vergangene Woche die Brandenburgische Philharmonie und das Kulturhaus in Potsdam, ebenso droht den Theatern in Frankfurt und Brandenburg der Todesstoß.
Reiche stützt sich dabei auf ein Gutachten von Werner Ehmann, der den massiven Abbau kultureller Einrichtungen im Land vorschlägt (siehe Kasten). Darin konstatiert der Gutachter, „daß der Gesamtaufwand der Theaterhäuser insgesamt außergewöhnlich hoch ist“. Dagegen seien die einzelnen Produktionsbudgets relativ gering, was mittelmäßige Aufführungen zur Folge habe. Schließlich „ist das Besucherpersonal der einzelnen Einrichtungen relativ gering“. Als Fazit schlägt Ehmann nicht nur Schließungen und Konzentrationen vor, sondern den Wechsel von Eigenproduktionen zum „Veranstaltungstheater“ oder zu Gastspielen. Die verbleibenden Ensembles, folgert Reiches Sprecher Thomas Hainz, könnten quasi im „Kulturverbund“ mit ihren „Aufführungen ja von Spielstätte zu Spielstätte wandern“.
Daß im Lande Brandenburg etwas faul ist mit der Kultur, zu viele Mitarbeiter beschäftigt und zuwenig qualitative Programme gespielt würden, bestätigt nicht nur Bühnenvereinsdirektor Rolf Bolwin, der den Ist-Zustand mit hohen Personal- und geringen Produktionsetats als „nicht bleibenswert“ bezeichnet. Auch die Bürgermeister und Theaterleiter konstatieren eine Misere zu hoher Kosten und erweisen sich als gehorsame Erfüllungsgehilfen des Kulturministers. Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck sah angesichts leerer Kassen und einer Verringerung der Landeszuschüsse um insgesamt 24 Millionen Mark keine Chance, die Schließung der Philharmonie im Jahr 2000 zu stoppen. Deren Etat von 6,8 Millionen Mark für die 67 Mitglieder belaste zu sehr die Haushaltskasse.
Nicht weniger rabiat urteilt der Geschäftsführer des Brandenburgischen Theaters, Manfred Wansing, über sein Haus, dessen Auslastung mit knapp 60 Prozent und enormen Personalkosten „nicht überlebensfähig ist“. Trotz der Subventionierung von Stadt und Land mit rund 18 Millionen Mark habe sich die Bühne 1998 überschuldet. Mit einem Zuschuß der Stadt und einem Etat heute von 13 Millionen Mark sei das Theater zwar wieder auf die Beine gekommen; aber nur auf Kosten der Abwicklung von 119 Mitarbeitern von 199 auf 80 und der Schließung des Schauspiels und der Musiktheaterproduktionen ab der Spielzeit 1999/2000. In Abstimmung mit der Stadtverordnetenversammlung erhoffe man sich nun durch den „Erhalt des Orchesters einerseits und wenige feste Verträge andererseits“, eine „Verbesserung des Kulturangebots“ zu erzielen. Gastspiele großer Bühnen sollen an das Haus mit 300 Plätzen geholt werden.
Daß heute an der Peripherie Berlins schwer Zuschauer, kaum Einnahmen und noch weniger Meriten mit altbackenen Produktionen wie „My Fair Lady“ oder immerwährenden Klassikkonzerten zu gewinnen sind, ist eine Sache. Eine andere ist, daß ein kulturfeindliches Klima sich den Problemen der Institutionen nicht annimmt, sondern diese sich per Abwicklung vom Halse schafft. Wo Etats zusammengestrichen werden und der Kulturabbau zur Zielvorstellung avanciert ist, wird dem Aufbau von Qualität keine Chance und dem künstlerischen Nachwuchs kein Terrain gegeben. Es gilt: zuletzt Kultur!
So wirft die Vorsitzende des Potsdamer Kulturausschusses, Karin Schröter, der Gutachterei zu Recht vor, nur mit betriebswirtschaftlichen Kategorien die Kulturszene zu betrachten und zu beschneiden. Wichtig sei auch, die künstlerischen Potentiale, sozialen Funktionen sowie die zukünftigen Perspektiven landesweiter Kulturarbeit zu begutachten.
Die Brandenburgische Philharmonie zum Beispiel habe nicht nur eine Auslastung von 80 Prozent. Hinzu komme, sagt Schröter, daß damit „ein ganzer Musikbereich wegbreche und großer kultureller Schaden“ entstehe. Wer zukünftig klassische Musik hören oder lernen wolle, müsse nach Berlin reisen. Eine ganze Szene werde so ausgetrocknet. Unterstützung erhält die Kulturfrau von der Deutschen Orchestervereinigung, die statt dem Abwicklungswahn kulturpolitische Alternativen im Land fordert. Es sei in der Bundesrepublik ein einmaliger Vorgang, daß sich ein Land dergestalt anschickt, sich seiner Institutionen zu entledigen.
Zu den gravierendsten politischen Fehlentscheidungen, die das Ehmann-Gutachten bereits jetzt nach sich zieht, gehört neben dem Todesstoß für die Philharmonie der Entschluß, in Frankfurt (Oder) ein repräsentatives Staatsorchester aufzubauen und den Theateretat von 5,4 Millionen Mark auf 2,6 Millionen samt Musiktheaterbereich schon mal einzuschrumpfen. „Damit“, meint Intendant Weber, „ist das Gutachten selbst erst einmal vom Tisch“, das Stadttheater als Institution aber ebenso. Mit einem Ensemble von knapp 30 Personen werden sich kaum noch die künstlerischen Qualitäten verwirklichen lassen, die Weber bislang vorzuweisen in der Lage war: mit Uraufführungen, jungen Regiearbeiten, internationalen Kooperationen und dem erfolgreichen Theaterbahnhof insbesondere beim jungen Publikum der Universitätsstadt. „Wir haben kein Akzeptanzproblem, sondern ein politisches“, sagt Weber und meint den mangelnden politischen Willen der Stadtoberen und piefigen Bürger, Experimente zuzulassen.
Zu den Absurditäten brandenburgischer Kulturabwicklung gesellt sich, daß während Reiche und die Oberbürgermeister fleißig Theater schließen, sich die Kommunen neue „Kultur- und Kongeßzentren“ genehmigen. In der Stadt Brandenburg entsteht neben der Bühne ein neues Haus für 26 Millionen Mark. Potsdam leistet sich für 24 Millionen den Bau eines Konzertsaals, und Frankfurt (Oder) klotzt mit einer 70 Millionen Mark teuren Kongreßhalle. Dort können dann Justus Franz, Guildo Horn, Rudolph Schock und die Rockers aufspielen. Auch das ist Kultur.
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