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Alle Welt und Halbwelt

Küssen und Knipsen: Die Galerie der Gegenwart zeigt ab morgen die Fotoarbeiten von Andy Warhol  ■ Von Hajo Schiff

Hip sind sie alle, cool und high, beautiful und sexy und reich sowieso. Und Warhol mittendrin: Andy küßt Liza Minelli, Andy küßt Salvador Dali, Andy küßt John Lennon und Philip Johnson und und. Jetzt hat anläßlich der „triennale der photographie“ die Hamburger Kunsthalle ihre Arme weit geöffnet und bejubelt das Fotowerk des wohl affirmativsten Künstlers des Jahrhunderts. Daß die Arbeiten einer Legende zu sehen sind, macht schon der Raum mit den Fotos klar, die berühmte Fotografen wie Duane Michaels oder Robert Mapplethorpe von Andy Warhol machten.

Erstaunlicherweise ist diese Ausstellung, die erst anschließend ins Andy Warhol Museum nach Pittsburgh geht, die erste überhaupt, die sich mit der im Leben des Künstlers so ungeheuer dominanten Fotografie befaßt. Angefangen von den frühen Streifen aus Paßbildautomaten über die unzähligen Polaroids zu den schwarz-weißen Fotos mit der 36mm-Minox hat der New Yorker Popstar nicht nur ständig mit Fotos kommuniziert, er hat oft genug anstatt zu kommunizieren fotografiert. Der Kurator Christoph Heinrich konnte in den USA an die 40.000 Fotos sichten: Plakatwände und serielle Auslagen, Toilettenstudien und Reifenberge, Skelette und Society, Weltberühmtheiten, Menschen aus aller Welt und Menschen aus der Halbwelt, Künstlerkollegen und unbekannte männliche Akteure... – selbst nur ein Bruchteil davon füllt die dunkel gestrichenen Kabinette der Kunsthalle noch ohne Ende.

Sonderausstellungen plaziert die Hamburger Kunsthalle an immer anderen Orten, diesmal wurde der halbe Verbindungskeller zwischen den Altbauten und der Galerie der Gegenwart geräumt und mit teils neu geschlossenen Wänden und grauer und schwarzer Wandfarbe verwandelt. Im sonst Joseph Beuys vorbehaltenen Oktogon läuft nun der Fotofilm Kiss und andere Screen Tests in 16 mm und mit 16 Bildern pro Sekunde, und über alle Wände breiten sich Fotos aus.

Zu sehen sind auch Reproduktionen der Pressefotos, die der Meister gesammelt hat, darunter allein 43 Bilder von Marilyn Monroe. Das alles ist genauso interessant wie jedes beliebige andere Archiv und noch die Originaldruckvorlagen mit Andys handschriftlichen Anmerkungen entsprechen der stilisierten Ausdruckslosigkeit und blasierten Langweile des Künstlers: Anweisungen wie „Neil, copy like the other“ oder „Make B + W like line, good contrast“ werden die Kunstgeschichte kaum aus den Angeln heben. Und daß es für die Bildserie Most Wanted Men als Vorlage einen Flyer der New Yorker Polizei gegeben hat, ist klar – auch ohne, daß der tatsächlich in einer Vitrine präsentiert wird. Eher im Gegensatz zu den vermutlichen Intentionen einer Foto-Triennale zeigt sich, daß Warhol eben nicht als Fotograf wichtig ist, daß das Knipsen bei ihm nur Material ist und sich von Pressefotos oder Omas Urlaubsfotos nur durch die Exklusivität der Szene unterscheidet, in der sich die Person bewegt. Wer sagt, Warhol habe die Fotografie wie einen Skizzenblock benutzt, muß auch konzedieren, daß dann vor allem die daraus abgeleiteten Werke wichtig sind. Erst in der Übertragung des Rohbildmaterials in ein anderes Medium gewinnt es seine Bedeutung, wie die gezeigten 40 Siebdruckgemälde belegen.

Bleibt abschließend die Empfehlung: Hingehen, durchs an die Wand gehängte Fotobuch durchgehen, einen kurzen Blick auf die Filme und Siebdruckbilder werfen und unbedingt das ungewöhnlich umfangreiche, gut bebilderte und layoutete Katatalogbuch mit nach Hause nehmen.

Hamburger Kunsthalle – Galerie der Gegenwart, morgen bis 22. August. Katalog in der Edition Stemmle, 400 Seiten, 39 Mark. Der Museumsdienst erläutert die Technik des Siebdrucks und bietet Gelegenheit selbst zu drucken: Di – Fr, 15 – 17 Uhr. Das Abaton wird Filme über und von Warhol zeigen (ausführlicher Bericht im nächsten Querschnitt).

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