„Dem Kanzler geht es um Wirtschaft“

■  Gerhard Schröder hat den Menschenrechtsbeauftragten des Auswärtigen Amtes, Gerd Poppe, an seiner Chinareise von Anfang an nicht beteiligt . Chinas Menschenrechtsverletzungen werden nun kein Thema sein, sagt Poppe im taz-Interview

taz: Nach dem Nato-Luftangriff auf die chinesische Botschaft in Belgrad will Gerhard Schröder Peking versöhnlich stimmen. Fällt das Thema der chinesischen Menschenrechtsverletzungen unter den Tisch?

Gerd Poppe: Es ist jedenfalls sehr viel schwerer geworden, die Menschenrechtsverletzungen in China anzusprechen. Durch den Vorgang in Belgrad sind alle anderen Themen ins Hintertreffen geraten.

Ist die Verteidigung der Menschenrechte in China zum Kollateralschaden, also einem versehentlichen Ziel, der Bomben in Jugoslawien geworden?

Ich halte nichts davon, die Situation von Opfern mit solchen Begriffen zu umschreiben. Davon abgesehen war ohnehin nicht zu erwarten, daß die Menschenrechte beim Besuch des Bundeskanzlers in China das Hauptthema sein würden. Dem Kanzleramt ging es sehr stark um die Wirtschaftsbeziehungen. Trotzdem war ich bisher davon ausgegangen, daß der Kanzler in deutlicher Form auf die Menschenrechtsverletzungen in China hinweisen wird.

Fehlt es dem Kanzler an Mut, das Thema anzusprechen?

Nein, ich glaube, daß es nicht nur eine Frage des Mutes, sondern auch der politischen Klugheit ist. Man muß sehen, welche Möglichkeiten dem Kanzler bleiben. Die Forderungen liegen jedenfalls alle auf dem Tisch: Gegen die exzessive Anwendung der Todesstrafe, die Lage der Tibeter und den bevorstehenden zehnten Jahrestag der Ereignisse vom Tienanmen-Platz. Ich hoffe, daß dazu auch weiter deutliche Worte gesagt werden.

Die FDP hat gefordert, Herr Schröder solle Sie nach Peking mitnehmen – als Signal, daß der Bundesrepublik das Thema Menschenrechte unverändert wichtig ist. Wären Sie gerne mitgeflogen?

Die Reise ist ja verkürzt worden, da stellt sich die Frage nicht. Dennoch hätte ich es zumindest gut gefunden, wenn ich an der Vorbereitung der ursprünglichen Reise beteiligt worden wäre. Statt dessen hat man auf ein großes Übergewicht der Wirtschaftsdelegation gesetzt. Ich hätte lieber eine größere Vielfalt von Themen berücksichtigt gesehen. Aber das ist nunmal die Sache des Kanzlers, zu sagen, welche Art von Reise er machen möchte.

Sie waren an der Vorbereitung nicht beteiligt? Wie das?

Die Reise ist vom Kanzleramt geplant worden. Inwieweit das Thema der Menschenrechte dabei überhaupt eine Rolle gespielt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Ist das nicht ein merkwürdiger Umgang des Bundeskanzlers mit dem Menschenrechtsbeauftragten des Auswärtigen Amts?

Ja, aber Sie sprechen es an: Ich bin der Beauftragte im Auswärtigen Amt und nicht der Bundesregierung insgesamt.

Peking liegt im Ausland.

Das ist zweifellos richtig. Deshalb bin ich als Menschenrechtsbeauftragter für eine stärkere Beteiligung des Auswärtigen Amtes bei der Planung für den verschobenen Staatsbesuch in China.

Es klingt, als wäre dem Automann Schröder die Wirtschaft wichtiger als die Menschenrechte.

Diese Frage stellen Sie ihm besser selbst. Aber schauen Sie Bill Clintons Besuch in China an. Er hat auch Wirtschaftsgespräche geführt. Zugleich hat er in einer öffentlichen Form die Menschenrechtsverletzungen angesprochen, so daß das von den Dissidentengruppen vor Ort als Solidarität verstanden wurde. Ich hätte den Wunsch, daß der Bundeskanzler das in ähnlicher Weise tut. Interview: Patrik Schwarz