: ... bis zum guten Ende
■ Geglückte Momente: Freie Solo- und Trio-Improvisationen im KITO
Konzentriert man sich einen Moment auf den Performance-Aspekt, scheint es, daß das Spiel des Baßklarinettisten Rudi Mahall sehr viel mit der Tücke des Objekts zu tun hat. Und sehr wenig mit Musik. Doch erste Eindrücke können täuschen. Zum Glück. Gemeinsam mit dem Kontrabaßisten Torsten Müller legt er ein Duoset hin, das dem Slapstickhaft-Eleganten so gar nicht entspricht. Sehr spröde, tastend erscheint die erste Hälfte des Doppelkonzerts.
Müller spielt mit allerlei Bögen, mit denen er meist knarrende Sounds erzeugt. Dazwischen klare, minimalistische Rhythmuspatterns. Ansonsten sucht das Duo pausenlos nach einer Möglichkeit, dem Hauchen und Knistern so etwas wie einen „reinen“ Ton abzuringen. Zwei Baßinstrumente gegen zwei Menschen. Der Wettbewerb geht unentschieden aus. Müller und Mahall retten zwar die Spannung nicht über die volle Distanz, entschädigen aber mit einer Reihe sehr dichter Momente. Etwa wenn die Stimmen der Instrumente einander derart überlagern, daß die genaue Herkunft eines Tones im Klanggestrüpp nicht auszumachen ist. Oder wenn die Klarinette, nachdem sie sich ausgiebig vom Baß entfernt hat, plötzlich einen Rhythmus aufnimmt und mit einer Art Echo versieht.
Der englische Saxophonist Lol Coxhill spielt nach der Pause solo. Bis das Trio schließlich zusammenfindet um in zwei kürzeren Improvisationen die ausgelegten Fäden einzusammeln. Das bedeutet zunächst einmal: gute Dramaturgie. Optisch wie akustisch. Wie spiegelverkehrt erscheinen beide Teile des Abends. Während Müller und Mahall mit ihren Instrumenten fast Theater spielen – ein schöner Gegenpol zu Klängen, bei denen nur selten etwas ins Fließen geraten soll –, steht Coxhill ruhig da, setzt sich zwischendurch auf einen Barhocker. Und spielt ein aufregendes Sopran-Solo, das nahezu die gesamte Bandbreite des Instruments auszuloten vermag.
Vom Klappern, bei dem man nicht recht weiß, ob der ältere Mann sich noch vorbereitet oder bereits zu spielen begonnen hat, bis zu schnell und kraftvoll vorgetragenen Tonfolgen, die mitunter in den Freejazz abdriften. Dazwischen spielt der Engländer in hohen, sehr hohen Tonlagen. Melodien sind eine Andeutung, zu erahnen, während die Töne, die man Coxhill auf der Bühne spielen sieht, sich ganz plötzlich und ungefiltert mitten im Kopf wiederfinden.
Teil drei wirkt dann sehr aufgeräumt. „Easy Listening“ im Vergleich zum vorher Gehörten. Aber es hat ja auch niemand behauptet, improvisierte Musik sei eine leichte Angelegenheit. In diesem Punkt treffen sich die drei Musiker. Ihr Spiel ist eng an die europäische Impro-Tradition geknüpft. Sehr schwer, sehr ernst. Warum auch nicht. Durchbrochen wird das Ganze, wenn Mahall die Mineralwasserflasche nur zur Hälfte in seinen Mund entleert, zur anderen aber ins Innere seines Instruments. Spontan, wie es scheint. Das gurgelt und rauscht dann. Spaßig.
Ich hatte mir vorgenommen, diesmal nichts, aber auch gar nichts über das Publikum zu schreiben. Es war am Mittwoch abend äußerst spärlich vorhanden. Dann aber saß in der ersten Reihe ein ungefähr achtjähriger Junge und lauschte. Die Botschaft mit dem Mineralwasser mußte er den hinter ihm sitzenden Eltern sogleich berichten. Offensichtlich hatten die ihn mitgeschleift.
Eine interessante Vorstellung: Wie er später über den offenen und interessierten Musikgeschmack seiner Kinder ablästern wird. Wegen elterlicher Inanspruchnahme seines eigenen Geschmacks in jungen Jahren. So wie Mittzwanzigern bis -dreißigern heute Schlager oder die Rolling Stones oder südamerikanische Arbeiterlieder nicht im Gehörgang verweilen wollen. Oder aber dies ordentliche, bisweilen mitreißende Konzert hat die Hörerschaft dieser nicht eben einfach zu konsumierenden Musik um eine zarte Kinderseele erweitert. Was eine angemessene Würdigung dieses Abends wäre.
Tim Schomacker
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