: Kontemplation und Müßiggang
So locker, so ätherisch, so wohlriechend, das geht auf keine Großstadthaut: Sam Prekop von The Sea And The Cake tritt zusammen mit seinen Freunden aus dem Chicago Underground im Tacheles auf ■ Von Gerrit Bartels
Wenn ein Musiker einer Band ein sogenanntes Soloalbum herausbringt, bedeutet das zweierlei: Er möchte mal eine Auszeit nehmen von den anstrengenden Psychodynamiken, die ein Bandleben auf Dauer mit sich bringt. Oder er will sich auf immer verabschieden, will sein eigener Boß sein, will allein die Entscheidungen über Sounds und Songs treffen. Wenn aber ein Musiker aus Chicago ein Soloalbum herausbringt, bedeutet das lediglich: Das Album läuft unter seinem Namen, und alle anderen, ob Bandmitglieder und Familienmitglieder oder Freunde und Bekannte, machen mit.
Ursprünglich hatte sich Sam Prekop von The Sea And The Cake zwar gedacht, er könne nach einem Jahrzehnt Plattenveröffentlichungen mit Bands wie Shrimp Boat und The Sea And The Cake ein ganz eigenes Werk einspielen. Einfach so, mit seiner Gitarre und einem Computer, und weil er sich gerade ein eigenes Studio eingerichtet hatte. „To make a solo recording in a literal sense“, wie er das so punktgenau formuliert (meint soviel wie die Einheit von Autor und Werk. Oder poetischer, frei nach Proust: die Einswerdung der beiden Wege nach Méséglise und Guermantes). Doch nachdem er seine Songs geschrieben hatte, spürte er schnell, daß sie nach Gruppendynamik und vollständiger Instrumentierung verlangten.
Und so ist auf dem kürzlich veröffentlichten, selbstbetitelten Prekop-„Debüt“ fast alles vertreten, was in Chicago auf dem Gebiet Postrock und freie Improvisation Rang und Namen hat: Jim O'Rourke, Archer Prewitt (zweiter Gitarrist von The Sea And The Cake), John McEntire (Tortoise), Chad Taylor und Rob Mazurek (Chicago Underground Duo und Isotope 217), Josh Abrams und noch einige andere mehr. Auch ist es nicht so, daß sich Songs und Sounds auf diesem Album nun groß von den Arbeiten von The Sea And The Cake unterscheiden würden. Bei denen hatten sich ja zuletzt gewisse Abnutzungseffekte eingestellt, die wollten sich nicht mehr so locker hören lassen, die mochten einem immer wieder entgleiten. Sie verbreiteten gar so was Schlimmes wie gepflegte Langeweile.
Bei diesem neuen Werk von Prekop möchte man nun aber wirklich keinen einzigen Ton missen. Große, perfekte und trotzdem lockere Momentaufnahmen aus dem Chicagoer Musikleben sind das geworden. Musik für unschuldige Frühlingstage, für schläfrige Stunden während sommerlicher Abenddämmerungen. Zeit allerdings muß man sich nehmen. Nicht, um die einzelnen Stücke entdecken zu können – das geht ziemlich schnell –, sondern weil die von ihnen provozierten Kontemplationen und Müßiggängereien einfach ihre Zeit brauchen. Oft scheinen sich diese Lieder schon nach den ersten Tönen verflüchtigen zu wollen, so leicht, wie sie sind. Die schweben geradezu, diefordern den Einsatz aller Sinnesreize. Sam Prekops Stimme tut da ein übriges, die ist so ätherisch, die riecht so gut, das geht schon auf keine Großstadthaut mehr.
Das Tacheles mag zwar nicht der richtige Ort für solcherart Musik sein, eher schon der SFB-Sendesaal oder ein Theater – letztendlich aber dürfte sich kein öffentlicher Veranstaltungsort für Prekops Songs richtig eignen. Doch auch ein Sam Prekop möchte live spielen und ein Publikum haben, schließlich geht es ihm bei aller Ruhe und Schönheit auch um musikalische Formen wie Rock, Jazz, Barmusik, Neo-Bossa-Nova und viele mehr. Und so hat er sich ein paar Kollegen mit auf Tour genommen: das schon erwähnte Chicago Underground Duo mit seinem Ambient Free Jazz sowie den schrullig-eigenartigen Jeremy Jacobson alias The Lonesome Organist. Alle im Paket werden dann schon dafür sorgen, daß es heute abend auch Tacheles-like zugeht.
Chicago Underground: Ab 22 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 54–56, Mitte
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