■ H.G. Hollein: Schlüpfrig
Die Frau, mit der ich lebe, hält mir gelegentlich meine Defizite vor. Allerdings zieht sie es bisweilen vor, ihre Beschwerdepunkte in orakelhaften Sinnsprüchen zu verstecken. Als sie dieser Tage scheinbar unvermittelt in den partnerschaftlichen Dialog einfließen ließ „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“, war ich mir anfangs keiner Säumigkeit bewußt. Allein, der nachhaltig quengelige Gesichtsausdruck der Gefährtin verlangte tieferes Schürfen. So kam ich denn zu der Vermutung, daß die Gefährtin in diesem Fall die alte Erkenntnis „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ auf eine auch dem Gefährten zugängliche Ebene gehoben haben wollte, um mir damit ein nachhaltiges Ungenügen in einem gewissen Bereich delikat vorzuhalten. Da ich immer großen Wert darauf lege, mich der Gefährtin auch intellektuell würdig zu erweisen, sann ich auf eine entsprechend hintergründige Replik. Erste Versuche wie „Das Lieben bringt groß' Freud, doch ohne den kein Leid“ verpufften allerdings jämmerlich. So ging ich in Klausur und suchte professionelle Inspiration im „Büchmann“, jenem „unverzichtbaren Nachschlagewerk der Redensarten“. Friedrich von Logaus „Ob aus Langmut er sich säumet, bringt mit Schärf' er alles ein“ fand ich für die Ohren der Gefährtin aber denn doch etwas zu barock. Nach ausdauerndem Blättern schien mir ein kühner Remix aus Heym und Goethe schon eher das Gegebene. So trat ich denn wohlpräpariert vor die Gefährtin hin und sprach also: „Aufgestanden ist er, welcher lange schlief und weiß nichts bessers sich an Sonn- und Feiertagen.“ Als ich meinen Triumph allerdings mit einem klassisch-schlichten „Die Letzten werden eben die Ersten sein“ krönen wollte, replizierte die Gefährtin spitz: „Wenn sie nicht vorher von den Hunden gebissen werden.“ Das gab nun wieder mir zu denken.
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