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Das Zucken im Körper des Angestellten

■ Das Coming-out des Tänzers im Kino: Masayuki Suos leichtfüßige japanische Gesellschaftskomödie „Shall We Dance?“ über die leise Lust am Nonkonformismus

Mehrfach treffen sich Sugiyama und Aoki in der Toilette des Büros, in dem die beiden Männer ihren Angestelltenpflichten nachgehen. Fernab von den Schreibtischen, zwischen Waschbecken und Urinals tauschen sie Geheimnisse aus und geben Insiderinformationen aneinander weiter. Einmal kommen sie sich sogar recht nah, wagen sie ein improvisiertes Tänzchen vor den Fliesenwänden. Als ein Kollege den Raum betritt, täuscht Aoki rasch einen Hustenanfall vor, damit der Unbeteiligte ihrem Treiben nicht auf die Schliche kommt.

Dabei sind Sugiyama (Koji Yakusho) und Aoki (Naoto Takenaka) in ein ganz unschuldiges Vergnügen verwickelt: Sie tanzen gerne Walzer, Foxtrott, Cha-Cha-Cha. Doch in Japan unterliegen Körper und Sexualität einem anderen Reglement, als wir es kennen. Es gilt als unschicklich, wenn Männer und Frauen einander in der Öffentlichkeit berühren, und dementsprechend haftet dem Gesellschaftstanz etwas Anstößiges an. Daher rührt die Heimlichtuerei auf der Bürotoilette, daher rührt auch Sugiyamas Verschwiegenheit gegenüber seiner Frau und seiner Tochter. Wenn er zum Tanzkurs geht, erzählt er zu Hause etwas von Überstunden. Und bevor er die Treppen zur Tanzschule hinaufsteigt, blickt er sich dreimal um, ob ihn auch niemand bei seinem Weg beobachtet.

So erzählt denn Masayuki Suos Spielfilm „Shall We Dance?“ von einem veritablen Coming-out: Der kleine Mann aus Suburbia entdeckt eine unerlaubte Leidenschaft und hat nach vielem Hin und Her den Mut, sie ohne Scham zu leben. Dabei bewegt sich „Shall We Dance?“ meist auf komödiantischem Terrain; manchmal öffnet sich der Film dem Slapstick, etwa wenn Sugiyamas Ehefrau (Hideko Hara), skeptisch geworden angesichts der neuen Lebensfreude ihres Mannes, einen Detektiv beauftragt und vor dessen Bürotür fast mit ihm zusammenprallt.

Daneben gibt es aber auch dramatischere Augenblicke, etwa wenn Mai (Tamiyo Kusakari), die schöne Tanzlehrerin, die als einzige im Film von einer professionellen Tänzerin gespielt wird, von ihrer lange als Geheimnis gehüteten Vergangenheit berichtet. Oder wenn die Entfremdung nach Jahren der Ehe angedeutet wird, wenn das fast undurchdringliche Schweigen der Eheleute oder die Monotonie des Lohnarbeiteralltags die Szene beherrschen. Nicht zufällig dominieren graue Farbtöne die Büroszenen, während das Licht in der Tanzschule sanft und leicht golden schimmert.

Die Ironie liegt darin, daß Sugiyama sich ausgerechnet ein so geregeltes System wie den Gesellschaftstanz aussucht, um die Freuden des Nonkonformismus für sich zu entdecken. Sein Ausscheren aus der Konvention führt ihn in vorgezeichnete Bahnen: rechts-links-Wechselschritt. Auf denen bewegt er sich nach kurzer Zeit erstaunlich gut. Dasselbe gilt für den Film: Denn auch der verläuft in konventioneller Spur. Und macht seine Sache wie Sugiyama – mit dem Geschick des Leichtfüßigen.

Cristina Nord ‚/B‘„ Shall We Dance?“, Regie: Masayuki Suo. Mit Koji Yakusho, Naoto Takenaka, Tamiyo Kusakari. 119 Min., Japan 1997

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