piwik no script img

Die letzte große Minderheit

■ Ungarische Politiker fordern Autonomie für die Wojwodina. Einige plädieren sogar für einen partiellen Anschluß an Ungarn

„Hat die ungarische Regierung in Jugoslawien andere Ziele als die Nato?“ Diese Frage stellt sich Imre Mecs, ein bekannter Parlamentsabgeordneter der liberalen ungarischen Oppositionspartei „Bund Freier Demokraten“. Sie ist nicht rhethorisch gemeint. Denn unter Politikern der national-konservativen Regierungskoalition in Budapest sind Stimmen laut geworden, die eine unabhängige Wojwodina fordern.

Zsolt Lanyi, Vizechef der rechtsnationalen „Kleinlandwirte“, eine der beiden kleineren Koalitionsparteien, hatte Anfang der Woche verlangt, im Zuge einer großen Balkan-Friedenslösung die Wojwodina von Jugoslawien abzutrennen. Der Vorschlag kam nicht aus heiterem Himmel – er ist nur der radikalste in einer ganzen Reihe von Vorstellungen, die ungarische Regierungspolitiker in den letzten Wochen geäußert haben.

Die Mehrheit der national-konservativen Budapester Regierungskoalition fordert für die 350.000 Ungarn, die in der Wojwodina leben, Autonomierechte. Die Regierung verlangt außerdem, daß die Wojwodina bei einer zukünftigen Friedensregelung für Rest-Jugoslawien ebenso wie das Kosovo unter internationale Aufsicht gestellt werden muß. Seit letztem Wochenende gibt es dazu nun erstmals ein offizielles Dokument: Die größte Koalitionspartei, der „Bund Junger Demokraten – Ungarische Bürgerpartei“ verabschiedete auf ihrem Parteitag eine Autonomieresolution für die Wojwodina.

Im Hintergrund steht die Sorge um die ungarische Minderheit. Viele ungarische Regierungspolitiker glauben, daß bald auch die Ungarn als letzte große Minderheit Serbiens von ethnischen Säuberungen betroffen sein werden. Zehntausende sind seit 1990 bereits in Richtung Ungarn und Westeuropa abgewandert. Serbische Behörden haben in den letzten Jahren Flüchtlinge in der Wojwodina angesiedelt und Minderheiten mit ethnischen Säuberungen gedroht. Heute machen die Ungarn in der Wojwodina 17,5 Prozent der zwei Millionen Einwohner aus. Neben der serbischen Bevölkerungsmehrheit und den Ungarn leben dort auch Rumänen, Roma und andere Minderheiten. Sie genossen bis vor zehn Jahren eine Autonomie, die ihnen weitgehende Rechte im politischen, sozialen und kulturellen Leben sicherte.

In welcher Form die 1989 von Belgrad abgeschaffte Autonomie in der Wojwodina wiederhergestellt werden soll, lassen ungarische Regierungspolitiker offen. In ihrer Autonomieresolution sprechen die Jungdemokraten von verschiedenen Autonomie-Formen – je nachdem, ob die Ungarn wie in der Nordwojwodina die Mehrheit oder wie im Süden nur eine Minderheit stellen. Politiker aus den beiden anderen Koalitionsparteien „Kleinlandwirte“ und „Ungarisches Demokratisches Forum“ fordern dagegen ein Südtiroler Modell für die Wojwodina, deren Verbleib in einer lockeren Konförderation oder eben: die Unabhängigkeit für das Gebiet.

Auf letztere Forderung hin haben die ungarischen Oppositionsparteien Alarm geschlagen. Sowohl die Sozialisten als auch die liberalen Freidemokraten glauben, daß auch Forderungen nach einer Revision ungarischer Grenzen nicht mehr weit entfernt sind. Erhoben hat sie bereits der rechtsextreme Politiker Istvan Csurka, der mit seiner „Partei des ungarischen Weges“ im Parlament vertreten ist. Von seiner Idee, die Nordwojwodina Ungarn anzugliedern, distanzierte die Regierung sich nicht.

Alarmiert sind durch die Autonomie-Forderungen der ungarischen Regierung auch die meisten politischen Vertreter der Wojwodina-Ungarn. Sie befürchten, daß diese ihnen in Belgrad schaden und als Vorwand für Repressionen dienen könnten. Vor wenigen Tagen verbat sich der Vorsitzende des „Verbandes der Ungarn in der Wojwodina“, Jozsef Kasza, deshalb noch einmal die Ratschläge der ungarischen Regierung: Die Wojwodina-Ungarn verfolgten eine selbständige Politik, so Kasza. Der VMSZ halte zwar daran fest, daß die 1989 abgeschaffte Autonomie wiederhergestellt werden müsse. Es sei aber nicht angemessen, dies zu fordern, während Bomben auf Jugoslawien fielen. Keno Verseck

Viele Regierungspolitiker glauben, daß bald auch die Ungarn von ethnischen Säuberungen betroffen sein werden

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen