: Kitaplätze zurechtgerüttelt
■ In Obervieland gibt es plötzlich 122 Dreijährige mit Rechtsanspruch, aber ohne Kita-Platz / Sozialbehörde hatte vor einem Jahr nicht mit den Zweijährigen gerechnet
„Wir sitzen hier echt auf dem Trockenen. Das sagen wir schon seit acht Jahren“, so hart ging Anneliese Alfke, wortstarke Obervieländer Beiratsfrau der SPD, mit der Sozialpolitik ihrer Partei ins Gericht. Vierzig, fünfzig empörte Mütter und Väter waren gekommen, der Beirat hatte eine gute Nase gehabt und das Thema „Kindergartenversorgung im Stadtteil“ auf die Tagesordnung gesetzt. Inzwischen gibt es 122 Anmeldungen mehr als Plätze vorhanden sind, mußte die zuständige Mitarbeiterin des Amtes für Soziale Dienste, Anke Carow-Lepke, einräumen. Ihr oberster Chef, Jürgen Hartwig, hatte vor drei Wochen vor laufender Kamera erklärt, das Problem werde sich „zurechtrütteln“. Damals gab es 90 Anmeldungen zuviel.
Wie kann es sein, daß die geballte zuständige Fachkompetenz nicht aus der Anzahl der zweijährigen Kinder entnehmen kann, wie viele Dreijährige es mit „Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz“ im folgenden Jahr geben könnte? „Wir haben das im vergangenen Jahr nicht errechnet“, räumte Carow-Lepke ein. Aber im Grunde ist sie auch für die Zahlen nicht zuständig.
Im vergangenen Jahr gab es 87 Anmeldungen mehr als Kita-Plätze. Das hatte sich damals „zurechtgerüttelt“, die kirchliche Kita in Arsten machte im Gemeindehaus eine Notgruppe auf und in der Kita Stichnathstraße wurde sogar eine geplante Gruppe nicht voll. So würde es sich auch im kommenden Jahr „zurechtrütteln“, hatte die Sozialbehörde gedacht. Die Kinder waren irgendwie „weg“.
Aber siehe da, in diesem Jahr sind sie wieder da und werden für den Kindergarten angemeldet und dazu die neuen Kinder, die damals erst zwei waren. Auf der Beiratssitzung wurde deutlich, wieso sich das damals zurechtgerüttelt hatte: „Wer möchte denn in die Stichnathstraße?“ rief eine Mutter dazwischen. „Stichnathstraße“ ist eine Kita in Kattenturm mit vielen Ausländerkindern und aus den gutbürgerlichen Stadtteilen Habenhausen oder Arsten ist vielen der Weg einfach zu weit, sagen sie. Einige der Eltern wollten nicht irgendeinen Kindergarten, sondern haben ihre Dreijährigen dann eben noch ein Jahr zu Hause gelassen, als es mit der Kita ihrer Wahl nicht klappte.
Damit hat die Sozialbehörde nicht gerechnet. Und sie hat nicht damit gerechnet, daß in dem großen Neubaugebiet „Arsten-Südwest“ mit seinen zahllosen familiengeförderten Reihenhäusern auch Familien mit Kindern einziehen. Vor vier Jahren hatte der Beirat schon einmal gefordert, daß die weitere Bebauung gestoppt werden soll, wenn nicht auch die Infrastruktur gebaut wird, ein multifunktionales Gebäude: „Multi-Arsten“. Der Schultrakt mit vier Klassenräumen ist gebaut worden, inzwischen ist er rappelvoll mit Kindern. Der Kita-Teil mit fünf Gruppenräumen wurde damals nicht gebaut, weil die Sozialbehörde ausgerechnet hatte, daß die Zahl der Kinder nicht so sehr steigt und deshalb kein Bedarf da ist. Bisher sind allerdings nur 600 der geplanten 2.800 neuen Wohneinheiten bezogen, sagt Anneliese Alfke. Wie kann man da von der steigenden Kinderzahl überrascht werden?
Am 25. Mai soll der Senat den Bau des Kita-Teils von „Multi-Arsten“ beschließen, fordert auch die SPD-Fraktion. Denn nach der Wahl wird wahrscheinlich erstmal festgestellt, daß eigentlich gar kein Geld da ist für sowas. Das gibt 100 zusätzliche Plätze ab Sommer 2000. Bis dahin wird die Zahl der Kinder, die trotz Rechtsanspruch keinen Kita-Platz bekommen, noch weiter angestiegen sein. Die 80 „Notlösungen“, die jetzt kurzfristig bis zum Sommer gefunden werden müssen, werden also bleiben müssen, räumt Carow-Lepke ein.
Und dann wird die Kapazität in der Grundschule nicht mehr ausreichen, und an den Türen von „Multi-Arsten“ hängen jetzt schon Plakate vom Schulzentrum Huckelriede, die fragen, warum man denn um Gottes willen den Notstand nicht vorausgesehen und das Schulzentrum Huckelriede gelassen hätte.
„Bremer bauen in Bremen“, spotten die Eltern in der Beiratssitzung und erzählen, daß drei Kilometer weiter in Niedersachsen Schule und Kita mitten im Baugebiet neu gebaut werden. Und wieviel Personal die haben und wie die mit Lernmitteln ausgestattet sind!
Der Beirat ist sich einig, daß man eigentlich die weitere Bebauung stoppen müßte, wenn Bremen nicht für die Infrastruktur sorgt. Aber das hatte der Beirat ja schon vor Jahren beschlossen. K.W.
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