: „Austritte begleiten uns seit Jahren“
■ Barbara Steffens, Vorstandssprecherin der Grünen in Nordrhein-Westfalen: Es gibt keine Alternative zur Regierungsbeteiligung, aber der Koalitionsvertrag darf nicht zum Programm werden
taz: Viele ihrer pazifistischen Parteifreunde sind über den Beschluß in Bielefeld enttäuscht und erwägen den Parteiaustritt. Was sagen Sie denen?
Barbara Steffens: Ich sage denen: Laßt mich hier jetzt nicht allein! Ich glaube, man kann in Deutschland nur eine andere Politik durchsetzen, wenn man in der Regierung ist. Und darum ist es jetzt besser, statt sich enttäuscht ins Private zurückzuziehen, noch mal drei Leute gleicher Gesinnung in die Partei reinzuholen.
Droht die Spaltung?
Ich sehe diese Gefahr nicht. Austritte sind ein Phänomen, das uns seit Jahren begleitet. In NRW sind seit der Gründung des Landesverbandes 40 Prozent der Mitglieder ausgetreten, und die meisten NRW-Grünen heute sind maximal vier Jahre dabei. Ich denke oft, wenn die Enttäuschten dringeblieben wären, dann hätten wir heute eine ganze andere Partei.
Man könnte auch in eine andere Partei eintreten!
Ich sehe keine politische Alternative zu den Grünen. Das Thema „Krieg“ ist mit Bielefeld ja nicht abgehakt. Wir haben immer noch Grundsatzfragen zu klären. Etwa: Wie stehen wir Grünen zur Nato? Gerade wir sollten uns jetzt für zivile Konfliktlösungen in anderen Krisenregionen einsetzen, zum Beispiel in der Türkei, damit wir so eine Sackgasse wie im Kosovo nicht noch mal erleben.
Bielefeld hat aber auch gezeigt, daß die Grünen durch ihre Regierungsbeteiligung nicht mehr die „Revoluzzerpartei“ sein können. Ist ihr Wandel zur etablierten Öko-Partei überhaupt noch aufzuhalten?
Was sich bei uns gewandelt hat, ist, daß die Diskussionen kontroverser sind als früher. In der Opposition konnte man über die Kontroversen den Deckmantel des Kompromisses legen. In einer Debatte über einen Gesetzesentwurf geht das nicht mehr. Deswegen brechen die Kontroversen jetzt innerhalb der Grünen aus – und dazu kommen dann noch Konflikte mit dem Koalitionspartner.
NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn sagte in Bielefeld, daß die Basis durchaus eine andere Meinung vertreten könne als die Parteispitze. Joschka Fischer beklagte dagegen, daß ihm die Basis ständig „Knüppel zwischen die Beine“ werfe. Lähmt zuviel Kritik nicht die Regierungsarbeit?
Natürlich muß man in der Politik Kompromisse machen. Aber einen Kompromiß kriegt man nur, wenn man klare Positionen beschließt – und nicht den Kompromiß schon vorwegnimmt, wie das jetzt im Fall Nato-Unterstützung oder auch vor kurzem in der Frage nach dem Atomausstieg geschehen ist. Wenn man Fischers Argumentation folgt, dann heißt das, daß wir als Partei künftig den Koalitionsvertrag und das Regierungshandeln zum Programm machen müssen. Das wäre das Ende der grünen Partei. Interview: Gisa Funck
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